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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling
Autoren: Jude Deveraux
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sie sehr, sehr hübsch. Seine Gedanken wanderten in eine Zeit vor ein paar Jahren zurück, als Samantha noch nicht verheiratet gewesen war und Louisville noch nicht verlassen hatte. Sie war damals gerade vom Fitneß-Training heimgekommen. Dave hatte sich im Arbeitszimmer am Telefon befunden, und sie hatte nicht gewußt, daß noch jemand im Hause war. Er, der Anwalt, hatte, eine Tasse mit eisgekühltem Tee in der Hand, an der gläsernen Schiebetür auf der Terrasse gestanden und Samantha gerade begrüßen wollen, als sie ihren Umhang ablegte und anfing, im Salon Stretchübungen zu machen und eines ihrer wohlgeformten, schlanken Beine auf die Rückenlehne der Couch stützte. Er hatte in diesem Moment vollkommen vergessen, daß sie die Tochter eines Freundes war, und mit offenem Mund eine junge Frau bewundert, die er jahrelang für ein ziemlich hausbackenes Wesen gehalten hatte. Ihr Haar hatte sich aus dem Band in ihrem Nacken gelöst und ringelte sich in zarten Strähnen, die wie gesponnenes Kupfer glänzten, um ihr Gesicht. Ihre Haut war rosig von der Anstrengung, und lange, geschwungene Wimpern senkten sich über strahlend blaue Augen. Ihm war bisher noch nie diese schwellende Fülle ihrer Lippen aufgefallen, und auch nicht diese kleine kecke, leicht nach oben gebogene Nasenspitze. Auch war ihm bisher entgangen, daß sie einen Körper besaß, den man in einem Magazin hätte verewigen müssen, mit Kurven, wo sie hingehörten, straff und makellos gerundet.
    »Sie werden erwachsen, nicht wahr?« hatte Dave hinter ihm, dem Anwalt, gesagt, der sich erschrocken mit schamrotem Gesicht zu ihm umgedreht hatte, weil er dabei ertappt worden war, wie er ein Mädchen angaffte, daß dem Alter nach seine Tochter hätte sein können. Offensichtlich hatte man ihm ansehen können, was er gerade dachte. Und so hatte er sich verlegen wieder abgewendet und war mit Dave in den Garten gegangen.
    Es war etliche Jahre später, daß Dave, als er sein Testament aufsetzte, zu ihm sagte, er habe Samantha all ihren »Saft« genommen. »Ich habe ihr Dinge zugemutet, die ein Vater seinem Kind nie zumuten dürfte«, hatte er gesagt, und er, der Anwalt, hatte sich in diesem Moment nur zu lebhaft an Samanthas kleinen wohlgeformten Körper im roten Trikot erinnert, rasch seine Papiere zusammengesammelt und das Haus verlassen. Nur zu gut war ihm jener Nachmittag im Gedächtnis geblieben, als er eine Regung verbotener Lust in sich gespürt hatte, die er für die Tochter eines Freundes niemals hätte empfinden dürfen. Obwohl Dave auf seinem Totenbett lag, mochte er, der Anwalt, sich nicht Geständnisse von solcher Art anhören, wie Dave sie ihm offenbar machen wollte. Er war nicht gewillt gewesen, sich in Dinge einweihen zulassen, die nie geschehen durften, aber nur allzu häufig passierten.
    Nun fragte sich der Anwalt, was Dave Samantha eigentlich angetan hatte - wenn er ihr etwas angetan hatte -. Aber er würde sie nicht danach fragen, weil er nicht genügend Courage besaß, eine Welt zu betreten, von deren Existenz er lieber nichts wissen wollte.
    »Ich möchte das nicht machen«, sagte Samantha, auf ihre Hände hinuntersehend. »Ich habe andere Pläne.«
    »Es ist doch nur für ein Jahr«, antwortete der Anwalt, Daves Worte wiederholend. »Und du wirst am Ende dieses Jahres eine große Summe Geldes bekommen.«
    Als Samantha zum Fenster ging, strich sie mit einer Hand über die Brokatvorhänge. Eines der letzten Dinge, die sie mit ihrer Mutter gemeinsam gemacht hatte, war die Auswahl dieser Vorhänge gewesen. Samantha entsann sich, wie sie unzählige Stoffmuster begutachtet hatten, ehe sie sich für einen Vorhang in der richtigen Farbe und der richtigen Webart entschieden hatten. Im Garten hinter dem Haus befand sich ein Baum, den ihr Großvater und sie gepflanzt hatten, als sie noch ein Gummihöschen mit Windeln trug. Später, an ihrem zehnten Geburtstag, hatte Großpapa Cal ein großes »C + S« in den Stamm geschnitzt und gesagt, auf diese Weise würden sie immer zusammenbleiben, solange der Baum lebte. Sich vom Fenster wegdrehend, schaute sie sich im Raum um - dem Zimmer ihres Vaters, dem Ort, wo ihr Vater sie auf seinen Knien geschaukelt und sie mit ihm und ihrer Mutter gespielt hatte, und wo sie alle zusammen gelacht hatten. Richard hatte ihr in diesem Zimmer den Heiratsantrag gemacht.
    Mit feierlich ernstem Gesicht ging sie zum großen Schreibtisch ihres Vaters und nahm den Stein auf, den er als Briefbeschwerer benützt hatte und auf dessen
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