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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autoren: Hans Fallada
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Das Gesicht mit dem scharfen, vogelhaften Profil mißfällt ihm, der musternde Blick des dunklen, merkwürdig runden Auges mißfällt ihm, es mißfällt ihm auch der schmale, blutlose Mund mit den eingekniffenen Lippen. Aber der Geistliche gibt sich einen Stoß und sagt so freundlich wie er kann: «Ich hoffe, Sie haben Ihren Frieden mit dieser Welt gemacht, Quangel?»
    «Hat diese Welt Frieden gemacht, Herr Pastor?» fragt Quangel dagegen.
    «Leider noch nicht, Quangel, leider noch nicht», antwortet der Geistliche, und sein Gesicht versucht, einen Kummer auszudrücken, der nicht empfunden wird. Er übergeht diesen Punkt und fragt weiter: «Aber den Frieden mit Ihrem Herrgott haben Sie doch gemacht, Quangel?»
    «Ich glaube an keinen Herrgott», antwortet Quangel kurz.
    «Wie?»
    Der Pastor scheint fast erschrocken von dieser brüsken Erklärung. «Nun», fährt er fort, «wenn Sie vielleicht auch an keinen persönlichen Gott glauben, so werden Sie doch ein Pantheist sein, nicht wahr, Quangel?»
    «Was ist das?»
    «Nun, das ist doch klar ...» Der Pastor versucht etwas zu erklären, was ihm selbst nicht ganz klar ist. «Eine Weltseele, verstehen Sie. Alles ist Gott, Sie verstehen? Ihre Seele, Ihre unsterbliche Seele wird in die große Weltenseele heimkehren, Quangel!»
    «Alles ist Gott?» fragt Quangel. Er ist jetzt mit Anziehen fertig geworden und steht vor der Pritsche. «Ist Hitler auch Gott? Das Morden draußen Gott? Sie Gott? Ich Gott?»
    «Sie haben mich falsch verstanden, vermutlich absichtlich falsch verstanden», antwortet gereizt der Geistliche.
    «Aber ich bin nicht hier, Quangel, um mit Ihnen über religiöse Fragen zu diskutieren. Ich bin gekommen, Sie auf Ihren Tod vorzubereiten. Sie werden sterben müssen, Quangel, in wenigen Stunden. Sind Sie bereit?»
    Statt einer Antwort fragt Quangel: «Haben Sie den Pastor Lorenz gekannt im Untersuchungsgefängnis beim Volksgerichtshof?»
    Der Pastor, schon wieder aus dem Konzept gebracht, antwortet ärgerlich: «Nein, aber ich habe von ihm gehört.
    Ich darf wohl sagen, der Herr hat ihn zur rechten Zeit abberufen. Er hat unserm Stande Schande gemacht.»
    Quangel sah den Geistlichen aufmerksam an. Er sagte:
    «Er war ein sehr guter Mann. Viele Gefangene werden mit Dankbarkeit an ihn denken.»
    «Ja», rief der Pastor in unverhülltem Ärger. «Weil er euren Lüsten nachgegeben hat! Er war ein sehr schwacher Mann, Quangel. Der Diener Gottes hat ein Kämpfer zu sein in diesen Kriegszeiten, kein flauer Kompromißmacher!» Er besann sich wieder. Er sah hastig auf die Uhr und sagte: «Ich habe nur noch acht Minuten für Sie, Quangel. Ich habe noch einige Ihrer Leidensgefährten, die gleich Ihnen heute den letzten Gang antreten, mit meinem geistlichen Trost zu versehen. Wir wollen beten ...»
    Der Geistliche, dieser starkknochige, grobe Bauer, hatte ein weißes Tuch aus der Tasche gezogen und entfaltete es behutsam.
    Quangel fragte: «Versehen Sie auch die hinzurichtenden Frauen mit Ihrem geistlichen Trost?»
    Sein Spott war so undurchdringlich, daß der Pastor nichts von ihm merkte. Er breitete das schneeweiße Tuch auf dem Zellenboden aus und antwortete dabei gleichgültig: «Es finden heute keine Hinrichtungen von Frauen statt.»
    «Erinnern Sie sich vielleicht», fragte Quangel hartnäk-kig weiter, «ob Sie in der letzten Zeit bei einer Frau Anna Quangel gewesen sind?»
    «Frau Anna Quangel? Das ist Ihre Frau? Nein, bestimmt nicht. Ich würde mich erinnern. Ich habe ein ungewöhnlich gutes Namengedächtnis .»
    «Ich habe eine Bitte, Herr Pastor ...»
    «Nun, sagen Sie schon, Quangel! Sie wissen, meine Zeit ist knapp!»
    «Ich bitte Sie, meiner Frau, wenn es soweit ist, nichts zu sagen, daß ich vor ihr hingerichtet worden bin. Sagen Sie ihr bitte, daß ich in der gleichen Stunde mit ihr sterbe.»
    «Das wäre eine Lüge, Quangel, und ich als Diener Gottes darf mich nicht gegen sein achtes Gebot vergehen.»
    «Sie lügen also nie, Herr Pastor? Sie haben noch nie in Ihrem Leben gelogen?»
    «Ich hoffe», sagte der Pastor, verwirrt unter dem spöttisch musternden Blick des andern, «ich hoffe, daß ich mich stets nach meinen schwachen Kräften bemüht habe, Gottes Gebote zu halten.»
    «Und Gottes Gebote verlangen also von Ihnen, meiner Frau den Trost, daß sie in der gleichen Stunde mit mir stirbt, zu versagen?»
    «Ich darf nicht falsch Zeugnis reden wider meinen Nächsten, Quangel!»
    «Schade, schade! Sie sind wirklich nicht der gute Pastor.»
    «Wie?» rief der
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