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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition)
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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Angst davor.«
    »Lance, er kommt nicht zurück«, meinte er.
    »Wer sagt, dass er nicht zurückkehren kann?«
    Zu keinem Zeitpunkt konnte ich sagen: »Es ist vorbei.« Selbst nach dem Toursieg und obwohl ein Kind unterwegs war, plagte mich immer noch das nagende Gefühl, dass sich alles über Nacht in Luft auflösen könnte, dass ich nicht mehr Rad fahren oder dass ich wieder krank werden könnte.
    Mein Sohn kam Mitte Oktober nach einer hektischen und schwierigen Geburt in den frühen Morgenstunden zur Welt. Anfangs hatte er Probleme mit dem Atmen, und die Krankenschwestern mussten ihn wegnehmen, um seine Lungen zu säubern, bevor er endlich einen wunderschönen Schrei ausstieß.
    Die Angst, die mich in dem kurzen Moment überfiel, als er nicht atmen wollte, übertraf jede Angst, die ich bis dahin empfunden hatte. Kik und ich sahen uns an, und in diesem einen Moment erkannten wir beide schlagartig, was es heißt, Eltern zu sein, nämlich so verwundbar zu sein wie nichts und niemand sonst auf der Welt. Später sagte Kik: »Nun können wir beide emotional zerstört werden.« Ein Kind zu haben bedeutet, absolut wehrlos und emotional völlig entblößt zu sein, und zwar für den ganzen Rest des Lebens.
    Nachdem Luke gesäubert und in eine Decke eingewickelt worden war, versuchten wir ein wenig Schlaf zu finden. Aber die Aufregungen und die Ängste, die wir durchlitten hatten, hielten die ganze Nacht an, und wir konnten nicht schlafen. Ich wälzte mich auf der mit einem Plastikschoner überzogenen Krankenhausmatratze hin und her und dachte darüber nach, wie sich die Angst um mich selbst, als ich Krebs hatte, von der unterschied, die ich nun, da ich Vater war, um jeden anderen Menschen hatte.
    Ich dachte über meine Mutter nach und über die Risiken,die sie mich hatte eingehen sehen, ohne sich einzumischen, die Felswände, die sie mich hinaufklettern gesehen hatte, die tiefen Sprünge und die schweren Stürze, die vielen Male, die ich mein Rad zu Schrott gefahren hatte, und, natürlich, meine Krankheit. Nichts ist emotional so gefährlich, interessant und beglückend wie das Elternsein.
    Ein Kind zu haben, so entschied ich, war eine ausgezeichnete Methode, sich lebendig zu fühlen. Nicht viel anders, als von einer hohen Klippe ins Wasser zu springen.
    Der Krebs hatte in mir den Wunsch geweckt, mehr zu tun, als einfach nur zu leben, den Wunsch, auf eine ganz bestimmte Weise zu leben. Die Erfahrung, um Haaresbreite dem Tod entronnen zu sein, hatte mich von etwas befreit. Mochten andere sich mit kleinen Sorgen und Nöten herumschlagen – Bin ich wirklich bereit für ein Kind? Was, wenn die Leute mich nicht mögen? Soll ich das wirklich wagen? oder Ist das nicht zu gefährlich? –, ich tat das nicht mehr. Für mich gab es Menschen, die ein Leben lebten, das man ebenso gut als Tod bezeichnen konnte. Die Krankheit hatte mich einen klaren Blick für den Unterschied zwischen echter Angst und bloßer Besorgnis gelehrt und dafür, was im Leben zu haben und zu tun wirklich lohnend war.
    Der Trick besteht darin, dafür zu sorgen, dass man in der Gefahr, in die man sich begibt, nicht umkommt. Ich war bekannt dafür, Risiken einzugehen, aber nun war ich auch Ehemann, Vater und Unternehmer und damit verantwortlich für andere Menschen. Bedeutete dies, dass ich Kompromisse eingehen und mich vorsichtiger verhalten musste? Für mich war das eine zentrale Frage. Einerseits wollte ich ein Leben voller Action, andererseits wollte ich mich meiner Verantwortung stellen.
    Das war nicht einfach und viel leichter gesagt als getan. Ich wollte Vater sein – aber ich wollte auch ein Motorrad. Meine Freunde lagen mir mit der Mahnung im Ohr, einen Gang runter- zuschalten; mein guter Freund und Trauzeuge bei unserer Hochzeit John Korioth bedrängte mich seit Jahren, langsamer zu fahren.
    John heißt bei uns nur »College«, kurz für »College Boy«. John spielte früher am College Basketball, und eines Abends spielten er und ein anderer guter Freund, Bart Knaggs, – beide hatten ordentlich Bier getankt – Basketball gegeneinander, und nach einer Weile fing Bart an, ihn zu verspotten. »Komm schon, College«, rief er immer wieder, »zeig uns, wie man einen Korb macht.« Seitdem nennen wir John nur noch »College«.
    Als ich, noch vor der Geburt meiner Kinder, einen Porsche hatte, flehte College mich in einem fort an, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Ich raste die Schnellstraßen runter, während College mit vor Angst geballten Fäusten auf dem
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