Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
Startschuß zum Sackhüpfen (Tag des Kindes), beim Überreichen eines Präsentkorbes für einen langgedienten Verwaltungsangestellten oder beim Besichtigen der neuerworbenen Drehleiter für die freiwillige Feuerwehr. Besucht uns gar ein Abgesandter der Landesregierung, dann gibt es eine wahre Bilderflut im Blättchen: Der Herr Bürgermeister bei der Begrüßung, der Herr Bürgermeister bei der Entgegennahme des Gastgeschenks, der Herr Bürgermeister im Kreise seiner Mitarbeiter (v. l. n. r. Gemeinderatsmitglied Sowieso, Stadtoberamtmann Soundso … ), der Herr Bürgermeister bei der Verabschiedung des hohen Gastes. In der nächsten Nummer folgt dann der genaue Wortlaut der Tischreden.
    Nun besteht Bad Randersau nicht nur aus Kurgästen, und seine Dauereinwohner können nicht von Kneipen und Friseuren allein leben. Deshalb gibt es drei Supermärkte und einige Tante-Emma-Läden, zwei Apotheken, ein Textilkaufhaus, drei Schuhgeschäfte, einen Handarbeitsladen, diverse andere Geschäfte, eine Post und eine Verkehrsampel. Nicht zu vergessen den Bahnhof in Himbeereisrosa, auf dem um 18.51 Uhr der letzte Zug abfährt, und drei Bankfilialen. Eine davon wurde unlängst zur Mittagsstunde überfallen und beraubt, was ein Verkehrschaos zur Folge hatte. Sämtliche Zufahrtsstraßen wurden gesperrt; die von dieser unerwarteten Gewalttat völlig überraschte Polizei kontrollierte gewissenhaft Autofahrer und auch ein paar gammelnde Jugendliche, die irgendwo am Stadtrand zelteten, aber den Bankräuber erwischte sie nicht. Wie später ermittelt wurde, hatte er den Tatort mit dem fahrplanmäßigen Eilzug um 13.21 Uhr Richtung Heilbronn verlassen. ›Fahre sicher mit der Bundesbahn!‹
    Nun wird jeder (mit Recht!) fragen, weshalb wir überhaupt hergezogen sind, wenn es mir doch ganz offensichtlich hier gar nicht gefällt. Diese Vermutung ist übrigens falsch. Man kann hier wirklich recht gut leben, zumindest sehr geruhsam, aber als typisches Großstadtgewächs fällt es mir immer noch schwer, mich mit den kleinstädtischen ›Unzulänglichkeiten‹ abzufinden. Ich wäre seinerzeit auch lieber in einen etwas größeren Ort gezogen, aber dieser Wunsch scheiterte an der zu Unrecht propagierten Kinderfreundlichkeit bundesdeutscher Hausbesitzer.
    Den letzten Hauswirt hatte unsere zahlreiche Nachkommenschaft nicht gestört, hauptsächlich wohl deshalb, weil er fünfzig Kilometer entfernt wohnte und seinen als Kapitalanlage gedachten Neubau in einem 211-Seelen-Dorf an normale Sterbliche nicht vermieten konnte. Er war ein paar Nummern zu groß geraten. So lebten wir ein Jahr lang fern der Zivilisation und in friedlicher Gemeinschaft mit Katzen, Wühlmäusen, Käfern und Kellerasseln, bis der Hauswirt pleite machte und das Haus samt vierbeinigem Inventar verkaufen mußte. Das zweibeinige bekam die Kündigung, setzte drei Makler in Lohn und Brot, besichtigte wochenlang Luxusbungalows und Drei-Zimmer-Einliegerwohnungen, fand sich schon mit dem Gedanken der Übersiedlung in ein Obdachlosenasyl ab und entdeckte sozusagen in letzter Minute ein akzeptables Domizil, das sofort bezogen werden konnte. Der Standort war unter diesen Umständen natürlich Nebensache, außerdem erschien mir Bad Randersau nach der Einöde Heidenbergs sogar als Rückkehr ins Paradies. Aber auch Adam und Eva sind ja bekanntlich nicht zufrieden gewesen.
    Schon während der Umzugsvorbereitungen war ich ständig zwischen Heidenberg und Bad Randersau gependelt, hatte Blumentöpfe transportiert, Fenster ausgemessen und die Nachbarschaft schonend auf die kommende Invasion vorbereitet. Die war dann aber ganz beruhigt, daß wir nur fünf eigene Kinder hatten und es sich bei den übrigen acht bis zehn, die unentwegt in Haus und Garten herumquirlten, lediglich um neuerworbene Freunde handelte. Sascha hatte bereits vier feste und ein paar andere, die auch ›schwer in Ordnung‹ waren, Sven schwankte noch zwischen einem Knapp Zwei-Zentner-Knaben und einem hochaufgeschossenen Vierzehnjährigen, der Griechisch lernte, und Stefanie sortierte alle sechs- und siebenjährigen Nachbarskinder durch und entschied sich für eine stämmige Achtjährige, die Katharina hieß und wie ein Junge aussah. Die Zwillinge äußerten noch keinen Wunsch nach Kommunikation, sondern begnügten sich damit, Haus und Garten zu erforschen und bei diesen Streifzügen die Kellertreppe hinunterzufallen, die Finger in der Balkontür einzuklemmen und schließlich samt Roller in ein Baggerloch zu stürzen. Wir nahmen zum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher