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Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe
Autoren: Evelyn Sanders
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mittelmäßig, und sein Zimmer sah jahrelang aus, als sei gerade ein Hurrikan durchgefegt.) Natürlich würde er auch Durchsetzungsvermögen besitzen und sich für alles interessieren, was das Leben ihm bieten würde. (Sven ließ sich bereits im Kindergartenalter von Jüngeren verdreschen und interessierte sich ausschließlich für Tiere, vorzugsweise für kleinere, etwa vom Maikäfer an abwärts.) Eine Zeitlang züchtete er Goldhamster und studierte ihr Familienleben. Sein Vater schöpfte wieder Hoffnung. Schließlich hatte sich Konrad Lorenz auch bloß mit Gänsen beschäftigt und trotzdem den Nobelpreis bekommen.
    Nachdem Sven jahrelang Spinnen, Asseln und ähnliches Gewürm seziert, katalogisiert und in Weckgläsern aufbewahrt hatte, schmiß er eines Tages das ganze Eingemachte in die Mülltonne und widmete sich der heimischen Flora. Jetzt wurden die Staubgefäße von Gladiolen mikroskopiert, Kreuzungsversuche zwischen Astern und Dahlien unternommen – sie sind aber nicht geglückt – und eine Verbesserung der Rasenstruktur in unserem Garten ausprobiert. Seitdem kämpfen wir vergeblich gegen den Gemeinen Wiesenklee an.
    Immerhin hat Sven die etwas eigenartigen Auswüchse seiner Naturverbundenheit zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Er will Gartenbau-Ingenieur werden.
    Da die Diskrepanz zwischen Wunschdenken und Realität hinsichtlich der Zukunft seines Stammhalters ziemlich früh offenkundig wurde, verlagerte der etwas enttäuschte Vater seine Hoffnungen auf Sohn Nr. 2.
    Sascha wurde anderthalb Jahre nach Sven geboren und berechtigte schon im zarten Kindesalter zu den hoffnungsvollsten Erwartungen. Bereits mit 15 Monaten kannte sein Tatendrang keine Grenzen, und seine körperliche Leistungsfähigkeit bewies er zum erstenmal sehr nachhaltig, als er den brennenden Weihnachtsbaum umstieß. Eine größere Katastrophe wurde durch das zufällige Vorhandensein einer gefüllten Kaffeekanne verhindert, aber wir brauchten neue Gardinen, und gleich nach Neujahr mußte der Maler kommen.
    Als Sascha zwei Jahre alt war, schmiß er seinen Bruder in den Goldfischteich. Mit drei Jahren demolierte er durch eine in diesem Alter ungewohnte Treffsicherheit das nagelneue Luxusauto eines Nachbarn, der einem längeren Krankenhausaufenthalt nur durch die Reaktionsschnelle entging, mit der er hinter seiner Staatskarosse Deckung nahm. Der Versicherungsvertreter, seit zwei Jahren Dauergast in unserem Haus, erwog schon einen Berufswechsel.
    Mit vier Jahren sprang Sascha vom Dreimeterbrett, obwohl er überhaupt noch nicht schwimmen konnte, und erreichte mehr tot als lebendig den Beckenrand. Mit viereinhalb fiel er aus einem sechs Meter hohen Apfelbaum – selbstredend war es ein fremder – und brach sich zum erstenmal den Arm. Mit fünfeinhalb kam er in die Schule.
    Hier ließ seine Aktivität schlagartig nach. Den Sprung aufs Gymnasium schaffte er nur mit Ach und Krach. und daß er nicht wieder geflogen ist, verdankt er wohl hauptsächlich seiner Klassenlehrerin. Während einer der zahlreichen Rücksprachen, zu denen ich regelmäßig zitiert wurde, vertraute sie mir seufzend an: »Manchmal möchte ich den Bengel ja zum Fenster hinauswerfen, aber irgendwie mag ich ihn trotzdem. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß er eines Tages aufwacht. Seine Intelligenz ist mindestens genauso groß wie seine Faulheit.«
    Demnach muß Sascha ein Genie sein! Bisher versteht er es aber meisterhaft, diese Tatsache zu verbergen.
    Dann kam Stefanie, ein dunkelhaariges, dunkeläugiges Bilderbuchbaby mit Löckchen, Grübchen und allen sonstigen Attributen, die man sich für ein Mädchen wünscht. Sobald sie auf ihren ziemlich stämmigen Beinchen stehen konnte, brach sie in ohrenbetäubendes Gebrüll aus, wenn ich ihr ein Kleid anziehen wollte. Sie bestand auf Hosen (darauf besteht sie auch heute noch), warf ihre Puppen auf den Misthaufen und wünschte sich zum Geburtstag Fußballschuhe. Alle Versuche, wenigstens äußerlich ein Mädchen aus ihr zu machen, scheiterten. Als der Zeitpunkt nahte, an dem die Merkmale ihres Geschlechts sichtbar wurden, rangierte sie alle Pullover aus und klaute die Sporthemden ihrer Brüder. Die waren natürlich viel zu groß, hingen wie Säcke um ihren Körper und verbargen alle verräterischen Anzeichen.
    Das Verhältnis zu ihren Brüdern ist – gelinde gesagt – gespannt. Mit Sven verträgt sie sich ganz gut, weil der sie mit der Weisheit des Alters betrachtet und ihr gegenüber ein großväterliches Gebaren an den Tag legt.
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