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Je sueßer das Leben

Je sueßer das Leben

Titel: Je sueßer das Leben
Autoren: Darien Gee
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über den geschwungenen Rand des Tellers zu ziehen.
    »So, fertig!« Stolz blickt Gracie auf ihr Werk. »Und jetzt?«
    Julia bemerkt einen blauen Farbklecks auf Gracies Handrücken und rubbelt ihn weg. »Was meinst du mit ›und jetzt‹?«
    Gracie hält den Zettel und die Anleitung in die Höhe. »Ist das ein Rezept? Das sieht aus wie ein Rezept. Was steht da drauf? Ich will das Mehl reintun. Ich bin die Mehlprinzessin!« Der Zucker aus dem Brot war offenbar bereits in Gracies Blutkreislauf gedrungen.
    Julia dreht sich um und betrachtet den Gefrierbeutel auf der Theke. Wenn sie es richtig versteht, ist es ein Teig, der noch gehen muss. Aber allein die Vorstellung, zu backen und danach wieder alles aufzuräumen, macht sie müde. »Ja, du bist die Mehlprinzessin, Gracie«, sagt Julia. »Nur … weißt du, das hat uns jemand geschenkt, weil er nett zu uns sein wollte. Derjenige erwartet nicht, dass wir es tatsächlich machen. Ich bin nicht mal sicher, dass wir die Zutaten im Haus haben.«
    »Dann können wir sie doch kaufen.«
    Julia lächelt ihre Tochter kurz an. »Nein, das geht nicht, Gracie«, sagt sie mit entschuldigender, aber fester Stimme. »Möchtest du ein bisschen fernsehen, während ich Abendessen koche?«
    Gracie rutscht vom Stuhl. »Ich glaube, Clifford läuft gerade«, verkündet sie und rennt aus der Küche.
    Die Mikrowelle piept. Es ist ein Erinnerungspiepen, eine clevere Idee des Herstellers. Vielleicht haben inzwischen aber auch alle Mikrowellen dieses Erinnerungspiepen – Julia hat keine Ahnung. Ihre letzte Mikrowelle fing Feuer, als sie eine Packung trockene Käsenudeln hineinstellte und die Garzeit auf eine Stunde einstellte. Plötzlich quoll schwarzer Rauch aus dem Gerät, und der Feueralarm ging los. Gracie war damals gerade vier Wochen alt. Sie erschrak, fing aber nicht an zu schreien, auch nicht, als Julia einen hysterischen Anfall bekam und Mark mit einem Feuerlöscher in der Hand panisch durchs Haus raste und alle Fenster aufriss.
    Die Mikrowelle piept wieder. Julia öffnet die Tür und holt den Becher heraus. Sie nippt, der Kaffee ist lauwarm und schmeckt abgestanden. Sie stellt den Becher für eine weitere Minute in die Mikrowelle, dann betrachtet sie die letzte Scheibe Brot und überlegt, ob es Mark etwas ausmachen würde, wenn sie es isst.
    Wahrscheinlich nicht. Die letzten fünf Jahre hat er ihr immer nachgegeben, zu müde, um zu streiten oder ihr zu widersprechen. Sie kann ihm das nicht einmal vorwerfen. Ihr fällt selbst nichts ein, was sich gegen die verfahrene Situation unternehmen ließe.
    Sie holt den heißen Kaffee aus der Mikrowelle, zieht die Folie von dem Teller und nimmt die einsame Scheibe. Genau in dem Moment, als sie sich den letzten Bissen in den Mund schieben will, spaziert Gracie mit einem Stück rosa Tonpapier in der Hand in die Küche.
    Ihre Tochter sieht sie entsetzt an, so als hätte Julia ein Kapitalverbrechen begangen. »Mama! Das war für Daddy!«
    Julia fühlt sich schuldig, will es erklären, aber beides kann sie sich sparen. Erstens ist Gracie fünf und hat den klaren Vorteil, dass Julia es nicht erträgt, wenn sie traurig ist. Zweitens kam Gracie auf die Welt, nachdem es passiert war. Sie kennt kein anderes Leben als das, in dem es der Höhepunkt an Grausamkeit ist, wenn Julia die letzte Scheibe Freundschaftsbrot isst.
    Julia versucht sich zu entschuldigen. »Tut mir leid, Gracie. Ich hatte einfach so großen Hunger.«
    »Aber ich will, dass Daddy es probiert«, Gracie ist den Tränen nahe.
    »Wir könnten ihm doch ein Glas Saft auspressen oder vielleicht ein bisschen Obstsalat machen …« Sie hat zwar nichts dergleichen im Haus, aber anbieten kann sie es ja.
    »Nein, ich weiß, dass ihm das Brot viel besser schmeckt. Ich hab ihm schon eine Karte gebastelt.« Gracie hält das Stück rosa Tonpapier in die Höhe. Mühselig hat sie die fünf Wörter von dem Haftzettel darauf abgeschrieben.
    ICH HOFFE, ES SCHMECKT IHNEN.
    Julia spürt plötzlich einen Kloß im Hals. Die ordentliche, sorgfältige Handschrift ihrer Tochter ist die einer Achtjährigen. Das kann Julia so genau sagen, weil Josh, ein Linkshänder, so lange gebraucht hatte, um schreiben zu lernen. Sein Lehrer hatte eine Lese- und Schreibschwäche bei ihm vermutet, und Julia hatte darum kämpfen müssen, dass er nicht in die Förderschule kam, weil sie nicht wollte, dass er für sein ganzes Leben einen Stempel aufgedrückt bekam. Am Schluss zeigte sich, dass sie recht hatte. Josh hätte für seine
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