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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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eines Tages der Nachfolger seines Vaters werden, der Direktor und Teilhaber einer sehr großen Konservenfabrik ist. Aber noch wird es ja wohl ohne ihn gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gustavo schon jetzt absolut unentbehrlich ist, so klug und tüchtig er auch sein mag.
    Mir ist die Lust auf mein eigenes Fest gründlich vergangen.
    Als es wenig später klopft und Alice freudestrahlend hereinkommt, habe ich mich immerhin so weit gefasst, dass ich so tun kann, als freute ich mich auf heute Abend.
    Â» Oho, ein Liebesbrief oder was? « , ruft sie aus, als sie das Kuvert auf meiner Kommode liegen sieht. Flink und frech greift sie danach und schaut hinein. Ich sitze auf dem Bett und schaue ihr fassungslos zu. War Alice immer schon so rücksichtslos? Aber ich lasse sie gewähren.
    Â» Wer ist Gustavo? « , fragt sie, nachdem sie die Zeilen gelesen hat.
    Â» Ach, niemand. «
    Â» Wieso kenne ich ihn nicht? «
    Â» Er ist Florindas Bruder. « Florinda ist eine gemeinsame Freundin von uns aus dem Internat, die aber ebenfalls nicht zu meinem Fest kommt, weil sie den Sommer weit weg von hier verbringt. Die Glückliche.
    Â» Ach, dieser große, dunkle, geheimnisumwitterte Schönling? Ich habe ihn mal gesehen. Ich wusste gar nicht, dass du mit ihm befreundet bist. «
    Bin ich auch nicht, gestehe ich mir selbst ein. Ich habe ihn ebenfalls nur einmal gesehen, doch das hat gereicht. Ich habe mich auf der Stelle in ihn verliebt. » Nun ja « , flunkere ich stattdessen, » wir sind uns ein paarmal begegnet. Und weil die Gefahr bestand, dass heute die Damen in der Mehrzahl sind, habe ich ihn eingeladen. Ein gut aussehender junger Mann hat noch keinem Fest geschadet. «
    Â» Wie wahr. Aber ein Langweiler ist tödlich für jede gute Feier. Und ich fürchte, dieser Gustavo ist einer. «
    Â» Wie kannst du so etwas sagen? « , ereifere ich mich, doch dann halte ich inne, damit Alice nicht merkt, was los ist. » Glaubst du wirklich? « , frage ich betont desinteressiert.
    Â» Ja. Aber lass uns über etwas Spannenderes reden. Sag: Was machen wir heute Schönes, um uns die Zeit bis zu dem Fest zu vertreiben? «
    Â» Viel Zeit für uns werden wir nicht haben, denn viele Gäste trudeln schon im Laufe des Nachmittags ein. Ich muss natürlich da sein, um sie zu begrüßen und Glückwünsche entgegenzunehmen. «
    Â» Und Geschenke « , kichert Alice.
    Â» Ja, auch das. «
    Â» Freust du dich denn nicht darauf? «
    Â» Auf die Geschenke? Doch, schon. Aber weißt du, von all den alten Tanten und Großcousins und wer noch so kommt erwarte ich nicht viel. Altmodische Tischwäsche, stillosen Porzellan-Nippes und derlei mehr. «
    Â» Egal « , sagt Alice entschieden. » Am schönsten ist doch sowieso das Auspacken. « Damit reicht sie mir ihr sehr aufwendig in Seidenpapier eingewickeltes Geschenk.
    Ungeduldig reiße ich die Verpackung auf. Zum Vorschein kommt ein hauchdünner Seidenschal, ein erlesenes Stück, das von außergewöhnlich gutem Geschmack zeugt. Entzückt lege ich mir den Schal um und begutachte mich vor dem Spiegel. Er steht mir vorzüglich.
    Â» Er ist hinreißend, Alice! « Ich falle in ihre Arme und hauche ein beglücktes » Danke « in ihr Ohr.
    Â» Für deine Europareise. Hier braucht man zurzeit ja wirklich keine Schals. «
    Trotz des wirklich gelungenen Geschenks fühlt es sich nach wie vor so an, als sei alle Farbe aus dem Tag gewichen, seit ich Gustavos Brief gelesen habe. Ich habe den Geschmack von Fadheit auf der Zunge, trotz meines herrlichen Frühstücks, und den Klang von Nieselregen in den Ohren, obwohl es ein sonniger Tag ist. Ich muss mich überwinden, normal zu sprechen.
    Â» Wir können zu den Ställen gehen, wenn du willst. Eine unserer Stuten hat gefohlt, das Kleine ist erst wenige Tage alt und sehr niedlich. «
    Alice stimmt zu. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu den Stallungen, Alice beschwingt, ich selbst ein wenig lahmer. Mir erscheint ihre Fröhlichkeit ziemlich aufgesetzt. Womöglich hat sie etwas bemerkt und will mich aufmuntern oder ablenken? Ach was, so viel Einfühlungsvermögen sähe Alice gar nicht ähnlich.
    Die Zeit bis zum Nachmittag vergeht rasend schnell. Ich zeige Alice den Hof, auf dem die Kaffeekirschen zum Trocknen liegen, und führe sie durch die Sklavenunterkünfte. Dann reiten wir zum Badesee und rudern unter die
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