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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss
Autoren: Ana Veloso
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herabhängenden Äste eines Baums, die Schatten spenden. Dort reden wir weiter, über die immer selben Dinge. Es ist, als könnten wir das, was uns beschäftigt, gar nicht oft genug in Worte fassen.
    Die Liebe, natürlich. Sie ist unser bevorzugtes Thema. Seit ich die Absage von Gustavo erhalten habe, kann ich endlich nachvollziehen, was mit Liebeskummer gemeint ist– jenem unerträglichen Schmerz, den ich bisher nur aus den Romanen kannte, die im Internat heimlich von Hand zu Hand gehen.
    Das Internat, ja, auch das beschäftigt uns. Besonders unsere Mitschülerinnen. Wir haben dort ein paar Lieblingsfeindinnen, und wir werden es nicht müde, über sie herzuziehen. Mit Alice zu lästern ist einzigartig. Sie ist so herrlich grausam in ihren Urteilen und bringt die Dinge immer wunderbar auf den Punkt. » Orfélia ist ein hoffnungsloser Fall. Weil sie so dick und unglücklich ist, tröstet sie sich mit unanständigen Bergen von Konfekt und wird immer dicker und unglücklicher. « – » Hast du die neue Brosche von Ermelinda gesehen? Ist sie nicht vöööllig unmöglich?! « Oder auch: » Maria Fernanda wird auch im elegantesten Kleid von ganz Paris immer noch aussehen wie eine Landpomeranze. «
    Ich lache herzhaft über diese Gemeinheiten, die leider nur allzu wahr sind. Da sie sich vorwiegend um das Aussehen und die Kleidung der anderen Mädchen drehen, könnte man sagen, dass es auch bei unseren Lästereien indirekt um Männer geht, denn das ist ja wohl unser aller Trachten: dem starken Geschlecht zu gefallen. Und wenn Alice und ich unter uns sind, ist auch klar, wer da die besten Chancen hat: wir beide. Sie nimmt in unserer Rangliste ganz klar Platz eins ein, ich folge auf Platz zwei. Allerdings mit gewaltigem Abstand.
    Heute jedoch muss Alice diese Einschätzung ausnahmsweise revidieren. Als ich mich am frühen Abend fertig mache– mein zauberhaftes Kleid anziehe, mir von Maria eine komplizierte Frisur stecken lasse und mich mit Schminke und Juwelen verschönere– kommt Alice in mein Zimmer geplatzt. Sie macht große Augen und wirkt ganz so, als hätte der Blitz sie getroffen.
    Â» Sagenhaft! « , seufzt sie, und es klingt noch nicht einmal neidisch.
    Sie selbst sieht ebenfalls zum Anbeißen aus. Ihr himmelblaues Kleid passt perfekt zu ihrem blassen Teint und ihren blauen Augen. Sie macht darin einen engelhaften Eindruck, als sei sie nicht von dieser Welt. Süß und unschuldig wirkt sie. Aus ihrem komplizierten Haarknoten hat sie einzelne Strähnen ihres hellbraunen Haars gelöst, die in weichen Locken ihr Gesicht umschmeicheln.
    Â» Du siehst auch ganz hinreißend aus « , gebe ich das Kompliment zurück.
    Â» Also dann… Beeilung, Senhorita! «
    Zusammen schreiten wir wenige Minuten später unsere breite Wendeltreppe hinab, auf königliche Würde bedacht: das Kinn angehoben, den Blick auf unser bewunderndes Publikum gerichtet. Allerdings sind es nicht eben viele Leute, die unserem majestätischen Auftritt beiwohnen.
    Warum das so ist, merke ich keine zehn Sekunden später: Draußen tobt ein schweres Gewitter. In unserem Eifer, uns für das Fest zu verschönern, haben wir es zuvor gar nicht bemerkt.
    Ich hoffe, dass unsere restlichen Gäste nicht mit ihren Kutschen in Lehmflüssen und Morastbergen stecken bleiben. Ich bete, dass niemand vom Blitz getroffen wird. Und ich rede mir ein, dass bestimmt alle gut gelaunt hier eintreffen. Durchnässt vielleicht, mit schmutzigen Kleidern und ramponierten Frisuren, aber in bester Stimmung.
    Es muss einfach so sein.
    Heute ist ja wahrhaftig schon genug schiefgegangen.
    Das einzig Gute ist, dass Gustavo nichts von meinem missratenen Fest mitbekommt.

3
    So vollkommen missraten ist meine festa aber dann doch nicht. Alle Gäste kommen unversehrt hier an, und der kräftige Regen trägt doch wahrhaftig, Wunder über Wunder, zur guten Stimmung bei. Wo sich normalerweise die Menge ein wenig verteilt hätte, weil wir auch im Garten Pavillons haben aufstellen lassen, sind nämlich nun alle gezwungen, im Inneren des Hauses zu bleiben. Selbst die wenigen Schritte auf die Veranda oder in den Garten hätten, trotz der mit Regenschirmen bewaffneten Schar von Sklaven, die Leute durchnässt oder zumindest ihre Schuhe ruiniert. Und weil alle drinnen bleiben, ist es richtig schön voll und eng und laut. Es gibt nicht einmal genügend
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