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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Autoren: Charlotte Brontë
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antworten, denn ich fürchtete, dass ihre nächsten Worte wieder grob klingen würden. »Ich will es versuchen«, sagte ich leise.
    »Möchten Sie nicht irgendetwas essen oder trinken?«
    »Nein danke, Bessie.«
    »Nun, dann werde ich auch schlafen gehen, denn es ist schon nach Mitternacht. Aber Sie können mich rufen, wenn Sie während der Nacht irgendetwas brauchen.«
    Welch seltene Höflichkeit! Das ermutigte mich, eine Frage zu stellen:
    »Bessie, was ist denn mit mir geschehen? Bin ich sehr krank?«
    »Ich vermute, dass Sie vom Schreien im Roten Zimmerkrank geworden sind; aber Sie werden ohne Zweifel bald wieder ganz gesund sein.«
    Bessie ging in das angrenzende Zimmer der Hausmädchen. Ich hörte, wie sie dort flüsterte:
    »Sarah, komm und schlaf bei mir im Kinderzimmer. Um mein Leben könnte ich nicht diese Nacht mit dem armen Kind allein bleiben; es könnte sterben! Wie sonderbar, dass Miss Jane einen solchen Anfall haben musste! Ich möchte doch wissen, ob sie irgendetwas gesehen hat. Mrs. Reed war dieses Mal aber auch zu hart gegen sie.«
    Sarah kam mit ihr zurück; beide gingen zu Bett und flüsterten mindestens noch eine halbe Stunde miteinander, bevor sie einschliefen. Ich hörte einige Bruchstücke ihrer Unterhaltung, aus denen ich auf den Gegenstand ihres Gespräches schloss:
    »Etwas ist an ihr vorübergeschwebt, ganz in Weiß gekleidet, und dann ist es wieder verschwunden …« – »… ein großer, schwarzer Hund hinter ihm …« – »… dreimal hat es laut an der Zimmertür geklopft …« – »… ein Licht auf dem Friedhof gerade über seinem Grab …« – und so weiter, und so weiter.
    Endlich schliefen beide ein. Feuer und Licht erloschen. In schaurigem Wachen ging die Nacht für mich langsam dahin; Entsetzen und Angst hielten Ohren, Augen und Sinne wach – Entsetzen und Angst, wie nur Kinder sie zu empfinden imstande sind.
    Diesem Zwischenfall im Roten Zimmer folgte keine lange, ernste, körperliche Krankheit, nur eine heftige Erschütterung meiner Nerven, deren Widerhall ich noch bis auf den heutigen Tag empfinde. Ja, Mrs. Reed, Ihnen verdanke ich gar manchen qualvollen Schmerz der Seele. Aber ich sollte Ihnen verzeihen, denn Sie wussten nicht, was Sie taten. Während Sie jede Faser meines Herzens zerrissen, glaubten Sie, nur meine bösen Neigungen und Anlagen zu ersticken.
    Am nächsten Tag gegen Mittag war ich bereits aufgestanden und angekleidet und saß, in einen warmen Schal gehüllt, vor dem Kaminfeuer. Ich fühlte mich körperlich schwach und gebrochen, aber mein schlimmstes Übel war ein unaussprechlicher Jammer der Seele, ein Jammer, der mir fortwährend stille Tränen entlockte. Kaum hatte ich einen salzigen Tropfen von meiner Wange getrocknet, als auch schon ein weiterer folgte. Und doch meinte ich, dass ich augenblicklich glücklich sein müsste, denn keiner von den Reeds war da, alle waren mit ihrer Mama im großen Wagen spazieren gefahren. Auch Abbot nähte in einem anderen Zimmer, und während Bessie hin und her ging, Spielsachen forträumte und Schubladen ordnete, richtete sie dann und wann ein ungewöhnlich freundliches Wort an mich. Diese Lage der Dinge wäre für mich ein Paradies des Friedens gewesen, für mich, die ich nur an ein Dasein voll von nie endendem Tadel und ungedankter Plackerei gewöhnt war – aber meine Nerven waren jetzt in einem solchen Zustand, dass keine Ruhe sie mehr besänftigen, kein Vergnügen sie mehr freudig stimmen konnte.
    Bessie war unten in der Küche gewesen und brachte mir einen Kuchen herauf, der auf einem bunt bemalten Porzellanteller lag. Er zeigte einen Paradiesvogel, welcher auf einem Kranz von Maiglöckchen und Rosenknospen schaukelte und bisher immer meine begeisterte Bewunderung hervorgerufen hatte. Gar oft hatte ich innig gebeten, diesen Teller in die Hand nehmen zu dürfen, um ihn genauer betrachten zu können, bis jetzt hatte man mich aber stets einer solchen Gunst für unwürdig gehalten. Jetzt stellte man mir nun diesen kostbaren Teller auf den Schoß und bat mich freundlich, das Stückchen auserlesenen Gebäcks, welches auf demselben lag, zu essen. O eitle Gunst! Sie kam zu spät – wie so manch andere, die innig erwünscht und lange versagt wird. Ich konnte den Kuchen nicht essen, und selbst das Gefieder des Vogels und die Farben der Blumen schienenmir seltsam verblasst. Ich schob Teller und Gebäck von mir. Bessie fragte mich, ob ich ein Buch haben wolle. Das Wort Buch übte seinen Reiz auf mich aus, und ich bat sie,
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