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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner
Autoren: Jurek Becker
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mehr, mit dem Herzen geht es los und im Rücken und dauernd Kopfschmerzen, ziemlich plötzlich und ein bißchen viel auf einmal.«
    Mischa kann noch nicht verstehen, um was für eine Art von Gefallen es sich handelt, er sagt: »Das ist schlimm.«
    »So schlimm auch wieder nicht, es wird schon vorbeigehen.
    Aber bis es soweit ist, Mischa, wollte ich dich fragen, ob du nicht solange die Lina zu dir nehmen könntest.«
    In der allgemeinen Hilflosigkeit ergibt sich eine Pause, während der Jakob keinen anblickt, wahrscheinlich mutet er dem jungen Mann ein bißchen viel zu. Zwei verbotene Frauenspersonen in der Wohnung, aber er hat ja gleich gesagt, daß er über eine Ablehnung seiner Bitte nicht böse wäre.
    »Ja, weißt du«, sagt Mischa langsam, in eindeutiger Absicht.
    »Natürlich können Sie Lina zu uns bringen«, sagt Rosa und sieht Mischa dabei vorwurfsvoll an.
    »Ich wäre nie damit zu dir gekommen, wenn du alleine gewesen wärst«, sagt Jakob dem unglücklichen Mischa. »Aber weil doch Fräulein Frankfurter sowieso den ganzen Tag hier ist, und Lina ist auch immer alleine …«
    »Ich freue mich schon auf sie«, sagt Rosa.
    »Und was sagst du?«
    »Er freut sich auch«, sagt Rosa.
    Mischa wartet noch, bis er Ordnung in sein Gesicht gebracht hat, daß er nicht gerade glücklich ist, wissen alle, er sagt: »Bring sie schon her.«
    Jakob legt erleichtert die Lebensmittelkarte auf den Tisch, unbeschädigt bis auf einen Abschnitt, Mischa soll nicht länger fürchten, daß er auch noch freie Verpflegung verlangt, Vollpension.
    »Wann kann ich sie euch bringen?«
    »Wann dachtest du denn?«
    »Morgen abend?« fragt Jakob.
    Mischa begleitet ihn, obwohl Jakob versichert, es wäre absolut nicht nötig, ein paar Schritte auf die Straße hinaus. Als Jakob ihm zum Abschied die Hand gibt, hält Mischa sie einen Moment länger als nötig fest, und Jakob entdeckt in seinen blauen Augen eine wichtige Frage. Mischa hat vollkommen recht, findet Jakob, ein Freundschaftsdienst ist den anderen wert, dazu noch, wenn so bescheiden darum ersucht wird.

    »Du willst hören, wie es steht?« fragt er.
    »Wenn es dir nichts ausmacht«, sagt Mischa.
    Jakob weiht ihn ein, daß Pry inzwischen erobert ist, daß allerdings die Deutschen auf halbem Weg nach Mieloworno eine Sperrlinie errichtet haben, um die lange gekämpft werden wird, wie es aussieht, in die aber, was wiederum hoffen läßt, die ersten Löcher schon geschlagen sind. Und er bittet Mischa, die Nachricht für sich zu behalten, sonst würde es nur endlose Fragereien auf dem Bahnhof geben, warum der eine beliefert wird und alle anderen nicht. Mischa verspricht es, bestimmt in der Hoffnung auf weitere gelegentliche Neuigkeiten, wie ich mir seine Taktik erkläre.
    Einen Abend später zieht Lina um. Jakob hat ihr dieselbe Begründung genannt wie Mischa, eine Trennung für nur wenige Tage, und Lina nimmt es gelassen hin. Sie hat Mischa ja gerne, fast schon eine heimliche Liebe, und er sie vermutlich auch, nur diese Rosa liegt ihr noch im Magen, wegen des Besuchs und der Vorwürfe damals, mit der könnte es Unstimmigkeiten geben.
    Aber Jakob versichert ihr, auch unterwegs noch, daß Rosa ein sehr verträglicher Mensch wäre, hilfsbereit und freundlich, daß sie ihm gestern abend erst gesagt hätte, sie freue sich auf Lina.
    Am besten, man erwähnt diesen dummen Besuch von neulich mit keinem Wort.
    »Du bist doch schon ein großes Mädchen, mach mir also keine Schande.«
    Als Jakob Lina abgeliefert hat, geht er sofort nach Hause, angeblich um sich hinzulegen. Lange sitzt er im dunklen Zimmer und überdenkt, ob sein Entschluß, um dessentwillen Lina fortmußte, vertretbar ist. Er will sich später, falls noch Gelegenheit dazu sein sollte, keine Vorwürfe machen müssen, oft genug hat er die falschen Entscheidungen getroffen in letzter Zeit. Die Russen fast in Sichtweite kommen zu lassen war ein Fehler, das Einstellen des Sendebetriebs war ein Fehler, das Radio selbst war der erste und größte, scheint ihm, zu viele Fehler für einen einzigen Mann. Immer noch bleibt die Möglichkeit, einiges ungeschehen zu machen, von neuem in den alten Trott zu verfallen. In drei, vier Tagen könnte er sich wieder besser fühlen, Krankheiten dieser Art lassen sich nach Belieben kurieren, dann Lina zurückholen, auf dem Bahnhof den Bekehrten spielen und die Wißbegierigen weiter mit Nachrichten versorgen, mit guten und schlechten, aber wohin sollte das führen, fragt sich Jakob.
    Nach ungefähr zwei
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