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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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Bettgestells. Entgeistert starrte der Marchese den enormen Gemüsepenis an.
    »Ich bin bei Santo La Matina gewesen. Und habe ihm von Ihrem Fall erzählt. Er wollte nichts von der Sache wissen und sagte, man dürfe der Natur nicht ins Handwerk pfuschen. Ich habe mich ihm zu Füßen geworfen, und endlich hat er ein Erbarmen gehabt. Das hier ist die Rettung.«
    Der Marchese war immer irritierter. »Diese Gurke soll ich verwenden? Es wird schwierig sein, meine Gattin so weit zu bringen.«
    »Aber was denken Sie? Essen müssen Sie die, und zwar ungeschält, in Scheiben geschnitten, und die Scheiben müssen Sie zuvor in einem Pißpott voll Rotwein einweichen. Die Gurke und die Pfirsiche essen Sie bei Sonnenaufgang des ersten Tags des zweiten Mondviertels, was genau in einer Woche sein wird. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«
    »Und das soll reichen?«
    »Ich bin noch nicht fertig.«
    Er steckte die Hand in die Hülle, zog ein winziges Päckchen heraus und öffnete es mit größter Vorsicht. Zum Vorschein kamen zwei trockene schwarze Samenkerne, augenscheinlich von einer Wassermelone.
    »Diese zwei Samen müssen Sie mit etwas Wasser eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr schlucken.«
    »Und Sie glauben, das hilft?«
    »Garantiert.«
    »Auch für die Methode Sciabarrà haben Sie mir Garantie gegeben.«
    »Die vergessen Sie jetzt einfach.«
    Es funktionierte. Genau neun Monate später kam Federico Maria Santo Peluso di Torre Venerina zur Welt – unter Freudentränen des Marchese und dem höchsten Glücksgefühl von Donna Matilde, die jetzt endlich den Alptraum der nächtlichen Nachstellungen schwinden sah. Der dritte Name, Santo, der dem Kleinen gegeben wurde, war die offenkundige Dankbezeugung des Marchese gegenüber La Matina für sein hilfreiches Obst und Gemüse. Ebenso offenkundig war, daß der Kleine mit einem Schädel wie eine Melone, einer Kartoffelnase und Augen wie zwei Melonenkerne auch weiterhin der vegetabilen Welt zugehörte.
    Als Federico Maria Santo größer wurde, nannten ihn die Familienangehörigen der Einfachheit halber Rico, aber die jungen Burschen, die mit ihm spielten, verpaßten ihm schon bald den Namen Ricò. Der Akzent war keine Koseform, sondern er brachte eine eindeutige Charaktereigenschaft zum Ausdruck: ricò stand nämlich für nichts anderes als für ricotta. (» Ich habe frischen ricò! Wer will ricò?! « verkündete der fliegende Händler lauthals in aller Frühe mit dem Rückenkorb voller Quarkportionen.) Die Betonung auf der letzten Silbe sollte bedeuten, daß das, was Federico Maria im Hirn hatte, und überhaupt sein ganzes Wesen, aus wabbeligem Frischkäse gemacht sei. Rico war ein Knabe mit sanftem Gemüt, seinen Gedankengängen fehlte einfach die gehörige Portion Pfeffer, die die Natur des Menschen auszumachen scheint. Sein Temperament blieb rein und unbescholten. Er war unfähig, einen Satz aus mehr als zwei Substantiven plus Verb zu formulieren, und brach oft in Gelächter aus, das nichts Menschenähnliches mehr hatte, sondern eindeutig wie Ziegengemecker klang.
    Am Abend des 30. Juni 1880 verkündete Rico der versammelten Familie bei Tisch, daß er für den folgenden Tag, seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag, keine Feierlichkeiten wünsche. In aller Frühe wollte er sich erheben und zur Hütte des Aufsehers Bonocore am Rand des Waldes des Citronella-Anwesens reiten, wo es, wie er behauptete, einen unerschöpflichen Schatz an Pilzen gäbe. Auf rohe Pilze war Rico besonders scharf. Er hatte sich sogar eine Art Patronengürtel anfertigen lassen, an dem er spezielle Messer, einen kleinen Rechen, eine Sichel, einen Haken, eine Schachtel mit Salz und eine Flasche Essig trug: Die Pilze aß er an Ort und Stelle, und er brachte nie welche mit nach Hause, da sie seiner Meinung nach unterwegs an Geschmack verloren.
    »Du spinnst mit deinen Pilzen im Citronella-Wald«, meinte Don Filippo, »im Wald der Zagara wachsen wesentlich mehr.«
    »Ja. Aber mit weniger Geschmack.«
    Im Morgengrauen des nächsten Tags machte sich Rico auf den Weg, die Doppelflinte über der Schulter. Das Gewehr trug er nur, um Eindruck zu machen, nie und nimmer wäre er in der Lage gewesen, auf ein Lebewesen zu schießen. Der Anblick eines Spatzen, der ein Körnchen im Schnabel trug, eines Kaninchens, das in sein Versteck flüchtete, einer Ameise, die einen Strohhalm schleppte, erfüllte ihn mit herzergreifender Glückseligkeit: Eine Musik erklang dann in seinem Innern, die immer lauter tönte, bis er
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