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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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können sich gar nicht vorstellen, was für ein Bedürfnis ich habe, untersucht zu werden.«
    »Auf Ihre Verantwortung«, meinte der Apotheker. Zu dem jungen Kerl, den er als Laufburschen zu sich genommen hatte, sagte er: »Wenn jemand kommt, sag, daß ich in fünf Minuten wieder zurück bin.«
    »Glauben Sie, daß fünf Minuten reichen?« fragte Frau Clelia und fächelte mit den Wimpern.
    Der Apotheker ließ sie die Holztreppe zum Wohn- und Eßzimmer hinaufgehen, bat sie, Platz zu nehmen, und fragte nach ihren Beschwerden. Während Fofò sprach, und ohne daß er sie aufgefordert hatte, stand Frau Clelia schon in ihrer Spitzenunterwäsche da und warf hin und wieder einen Blick Richtung Schlafzimmer.
    Nachdem der Apotheker sie aufs gründlichste abgehört hatte, meinte er: »Kleiden Sie sich wieder an, gnädige Frau, und begeben Sie sich bitte nach unten. In der Zwischenzeit will ich Ihnen etwas zubereiten.«
    Diese Geschichte vertraute Frau Clelia wutschnaubend bis in alle Einzelheiten ihrer Busenfreundin an, der eifrigen Kirchgängerin Frau Colajanni, die den lieben langen Tag nichts anderes tat als ratschen und klatschen. Am selben Abend erstattete der Leiter des Postamts Colajanni vor dem versammelten Zirkel Bericht. Die Meinungen waren stark geteilt.
    »Der Apotheker ist ein Waschlappen und kein Mann«, lautete der kategorischste Kommentar.
    »Dem Apotheker gefällt Frau Clelia nicht«, der nächstliegende.
    »Der Apotheker ist ein echter Ehrenmann, der sich nicht an den Frauen der anderen vergeht«, das war der freundlichste.
    »Der Apotheker ist ein Scheißkerl«, war schließlich das drastischste Prädikat.
     
    Am Morgen des letzten Februartags öffnete Mimì die Tür zum Schlafzimmer seines Padrone, um ihn anzukleiden, ihn auf den Stuhl zu laden und vor den Zirkel zu schaffen. Das Bett war zerwühlt, der Marchese aber nirgendwo zu sehen. Es konnte vorkommen, daß der Alte, falls notwendig, zwei, drei Schritte allein machte, aber auch im Vorraum der Toilette war keine Spur. Ihm kam der Gedanke, daß sein Herr in der Nacht wohl irgend etwas gebraucht und seine Familienangehörigen um Hilfe gebeten hatte. Sachte drückte er die Schlafzimmertür von Don Filippo und seiner Gemahlin, dann die der jungen Marchesa Ntontò und die des jungen Marchese Rico auf. Alle schliefen tief und fest. Beunruhigt eilte er zur Küche, wo die Magd Peppinella schon werkelte: Sie wußte ebenfalls von nichts. Erschrocken machte sich auch Peppinella auf die Suche nach dem alten Marchese. Sie sah in allen Winkeln des Hauses nach, doch vom Dachboden bis zum Keller und zu den Lagerräumen war nicht die geringste Spur von Don Federico.
    »Ich gehe jetzt zu Don Filippo und sage es ihm«, meinte Mimì.
    »Sieh mal da.« Bei diesen Worten Peppinellas hielt er inne.
    Von der Schlafzimmertür des Alten führte eine ganz schwache, streckenweise unterbrochene Spur aus Sandkörnern, Schwefelpulver und Bröckchen getrockneter Taubenkacke fort: Ihr folgend, gelangte Mimì an den Fuß des Treppenaufgangs und sah, daß das Portal offenstand. Er ging auf den Vorplatz, und das erste, was ihm ins Auge fiel, war das halb geöffnete Eingangstor des Palazzos. Es bestand kein Zweifel mehr: Der Marchese war auf eigenen Beinen fortgegangen. Verzweifelt rannte Mimì los und hatte in weniger als einer Viertelstunde den ganzen Ort bis zum Hafen hinunter nach ihm abgesucht und unterwegs jeden gefragt, ob er zufällig einen alten Mann in dem und dem Zustand gesehen habe. Doch keiner hatte ihm weiterhelfen können. So stürzte er weiter und eilte den Strand entlang, immer der Uferlinie folgend, während ihm das Meerwasser Schuhe und Hosenbeine durchnäßte. Da entdeckte er in einiger Entfernung ein schwarzes Etwas, das von den Wellen angeschwemmt und wieder weggetragen wurde. Seine Beine wurden weich wie Pudding, und als er an der Stelle angelangt war, erkannte er in dem schwarzen Ding seinen Herrn. Er stieg ins Wasser, zog den Marchese an Land und eilte in den Ort zurück, um Doktor Smecca zu rufen. Der Arzt aber hatte hohes Fieber und konnte unmöglich das Bett verlassen.
    »Geh zum Apotheker«, empfahl er ihm.
    Fofò La Matina verlor keine Sekunde Zeit. Im Handumdrehen war er an der Seite Mimìs, der blitzschnell wie ein Hase lief. Als sie zu der Stelle kamen, stießen sie auf Kommissar Porterà, der von einem vorbeikommenden Fischer benachrichtigt worden war.
    »Es ist alles zu spät«, sagte der Kommissar. »Er ist schon seit ein paar Stunden tot. Er hat
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