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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman.
Autoren: Andrea Camilleri
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schließlich in ein mächtiges Gemecker ausbrach.
    Als er nach drei Stunden Ritt auf dem Vorplatz des kleinen Hauses von Bonocore eintraf, rannte Carmelina ihm außer Atem entgegen. Sie war sein Geheimnis und nicht die Pilze aus dem Citronella-Wald, die in Wirklichkeit nicht würziger waren als die anderen. Carmelina lebte im Hause des Landaufsehers und war das einzige Geschöpf auf dieser Welt, das ihn, davon war er felsenfest überzeugt, bis in die hintersten Winkel seines Wesens verstehen konnte. Ihre Liebe hatte vor einem Jahr begonnen, sie war von Dauer und wurde immer stärker. Und seit einem Jahr fragte sich Rico, was Carmelina zu ihm hingezogen hatte, was die Ursache des Wunders war, das er bald erleben sollte. Vage erinnerte er sich, während er Carmelina umarmte und küßte, wie er mit dem Aufseher gesprochen und wie der etwas gesagt hatte, was ihn zum Lachen brachte: Bei seinem Gelächter hatte sich Carmelina, die am Rand des Vorplatzes stand, ruckartig umgedreht und sich ihm langsam genähert, den Blick auf ihn geheftet. Ja, so hatte alles begonnen: mit einem Lacher. Wieder küßte er Carmelina. Da er spürte, daß er es nicht mehr länger aushielt, rief er nach dem Aufseher, um sich zu vergewissern, ob der in der Nähe sei. Es kam keine Antwort, die Bahn war also frei. Beinahe mit Gewalt zerrte er sie in den Heuschober, zog sich aus und legte sich nackt auf den Boden. Carmelina begann, ihn geduldig und ergeben zu lecken. Und da sie nach einer Weile merkte, daß er, wie eine wild wachsende Melone, kurz vorm Aufplatzen stand, um seinen Samen ringsum zu verstreuen, legte sie sich auf den Rücken und erwartete die Ladung des Geliebten auf ihrem Leib.
     
    Kaum war Rico, vom Liebesspiel naßgeschwitzt, in den Wald eingedrungen, begann er mit seiner Litanei: Clavaria pistillaria, Elvella mitrata, Merchella esculenta, Amanite cesarea…. Das waren die wissenschaftlichen Namen der Pilze, die er durch wiederholtes Studium der Bildtafeln des De generatione fungorum aus dem Jahre 1714 auswendig gelernt hatte; er hatte einem Freund ein Vermögen für den Band bezahlt. Der Singsang der Namen war eine echte Raffinesse, ein vielversprechender Vorgeschmack des Pilzes, den er bald darauf essen würde. In der Mitte des Waldes angelangt, blickte er um sich und hielt plötzlich inne. Zwischen dem dunklen Gebüsch glaubte er das blasse, kahle Köpfchen eines wenige Monate alten Säuglings mit ausgerissenen Augen zu erkennen. Außer dem Kopf war nichts von dem kleinen Wesen zu sehen. Rico zuckte zusammen vor Schreck und war drauf und dran, die Flucht zu ergreifen. Aber er bezwang sich und näherte sich langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, in geduckter Haltung, als wehre er unsichtbare Schläge ab. Als er bis auf einen Schritt herangekommen war und genauer hinsah, atmete er erleichtert auf und stieß ein lautes Gemecker aus: Es war ein Riesenpilz, der größte, der ihm jemals unter die Augen gekommen war. Gierig ließ er seine Hand mit der kleinen Sichel niedergehen, nicht achtend der unzähligen Dornen, die von allen Seiten in seine Hand eindrangen.
     
    Carmelina war beunruhigt, weil Rico auf sich warten ließ. Langsam dunkelte es, und sie wußte, daß er nicht gern in den Nachtstunden unterwegs war. Auch das Pferd, an einem Baumstamm festgebunden, war unruhig geworden. Dann ertrug Carmelina die bange Ungewißheit nicht länger und rannte Richtung Wald. Sie brauchte nicht weit vorzudringen, da sah sie Rico an einen Baumstamm gelehnt, die Augen geschlossen, Speichel tropfte aus seinem Mund, und er reagierte nicht auf ihr verzweifeltes Rufen. Und eben Carmelinas Stimme war es, die den Aufseher alarmiert herbeieilen ließ.
    »Du guter Gott«, sagte Bonocore beschwörend und versetzte der jammernden Carmelina einen gehörigen Tritt, möglicherweise, um den Schreck von sich zu schütteln, der ihn beim Anblick des totgeglaubten Rico befallen hatte. Aber die Ziege rührte sich keinen Millimeter.
     
    Donna Matilde schrie und schluchzte seit zwei Stunden und sprang vor dem Bett hin und her, auf dem Rico mit dem Tode rang.
    »Sie haben ihn umgebracht! Erschossen haben sie ihn!« Vergebens versuchte Ntontò, die Mutter zu beruhigen und ihr klarzumachen, daß es sich nicht um Mord, sondern um einen Unglücksfall handelte. Nichts zu machen, Donna Matilde ließ höchstens eine Variante zu, und ihre Stimme klang so schrill, daß die Pferde im Stall zur Antwort wieherten.
    »Mit der Doppelflinte haben sie ihn
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