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Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere
Autoren: K.M. O'Donnell
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Dichter war im Begriff eine Villanelle zu schreiben. Auf irgendeine Weise sollte sie das Gefühl widerspiegeln, das er eben erlebte; dieses Gefühl der schwindenden Möglichkeiten: Wie es war, dort zu sein, wo er in dieser Welt war, die gänzlich aufgeplatzt, wie Blut durch die zerrissenen Hälften seiner Leiche rann. Aber er hatte nicht die Geduld dazu; die Arbeit, die Reime zu finden und zu ordnen, machte ihn krank. So entschied er sich für eine Form, die überhaupt keinen Namen hatte; eine Form, die er natürlich DELLA nannte, weil gleich ihr alles eingezwängt, schmal und kalt, kalt, kalt war. Sie traf ihn wie Eis auf der ausgeliehenen Ebene des Bewußtseins; um ihn gewickelt wie ein Netz, hatte sie ihn zu ihrem fischähnlichen Innersten geführt, aber dort war nichts. Je weiter er vordrang, desto tiefer wurde die Dunkelheit Della, Della, Della, hatte er geschrien, als die letzten Wasser gefroren und den Kanal blockierten. Oh, sie wußte. Sie wußte. Sie wußte …
    Dann versuchte er die Wörter zu ordnen: Zerrissen, Horn, Jubel und brennen , so daß sie, Zeile für Zeile aufeinanderfolgend, durch ein System von fünfundzwanzig Zeilen wiederkehrten. Er wählte die Wörter mehr oder weniger nach dem Gefühl, aber er versuchte auch etwas Sinn hineinzubringen.
     
    »… Zerrissen zu sein
    Auf dem Horn
    Dann; Jubelschreie.
    Plötzliches Brennen:
    Und das Horn hören.
    Das Jubelgeschrei,
    Das ferne Brennen,
    Ist endlich zerrissen
    Das Jubelgeschrei
    Der Schmerz des Brennens:
    Komm in das Horn
    Das Feuerhorn
    Das Knochenhorn …«
     
    Und so weiter. Er hatte mehr als nur das geschrieben, aber bevor er das Ende der Seite erreichte, hatte er vor Ekel ein Aaah ausgestoßen und alles zerrissen (zerrissen); es ziellos in alle Winkel des Zimmers verstreut; dann war er gegangen, auf der Suche nach einer neuen Schlacht, die wahrere Lyrik enthielt.
    Die Sache war nur die, daß er Gedichte überhaupt nicht mochte. Er verstand sie auch nicht. Etwas Hartes und Verächtliches in ihm erschütterte sein Schreiben, legte verborgene Sinne frei. Vor langer Zeit hatte er sich ein bißchen mit Bildhauerei beschäftigt und Klavier gespielt, keines von beiden sehr gut, aber damit war er dem, was er jetzt tat, am nächsten gekommen, obwohl er nicht genau wußte, was – zum Teufel – er eigentlich machte. Della oder gar nichts.
    »Verstehe ich nicht«, brummte er; werde es nie verstehen und fände es nicht gut, wenn ich es könnte. Verstehe nicht, was hier überhaupt los ist – natürlich macht das so oder so nicht allzuviel aus. Wie die Idee der Villanelle selbst. Er hatte sie aus einem alten Buch, das im Regal gestanden hatte. Es war voller Instruktionen über das Schreiben in verschiedenen Formen, und auch einige Beispiele waren darin angeführt. Er hatte gedacht, daß es besonderen Spaß machen könnte, es DELLA zu nennen, was der Hure noch ziemlich schmeichelte. Aber es machte keinen Spaß. Es hatte mit Spaß überhaupt nichts zu tun.
    Soviel über Villanellen. Aber nach einiger Zeit kam er darauf zurück, weil es wirklich keinen anderen guten Weg gab, die Zeit totzuschlagen, und wenn man sich echt hinsetzte, war es nur eine Frage der Disziplin; man mußte alles von sich werfen und neu anfangen, so, als hätte man in seinem Leben zuvor nie etwas anderes gemacht. Wer hatte gesagt, daß jedes Gedicht so geschrieben wenden soll, als hätte es vorher nie eines gegeben? Wer es auch immer gewesen war, der alte Hurensohn hatte sich sicher etwas dabei gedacht. Wenn er sich erst einmal entschlossen hatte, sich hinzusetzen, um das verdammte Ding herunterzuschreiben und von da an alles sich selbst zu überlassen, würden sich die Dinge schon entwickeln.
    Aber der Haken an der Sache war: Was, zum Teufel, machte er hier? Und was würde es lösen?
    Nun, das war egal; das waren Fragen der Wächter; preise sie und iß die Sachen, die sie durch die Luke am unteren Ende der Tür reinschaufeln – egal wie sie schmecken –, weil es wichtig ist, bei körperlichen Kräften zu bleiben und weiterzumachen, wenn ich dir das mal sagen darf. Die Wächter würden ihn die Antworten zu gegebener Zeit wissen lassen. Und im Augenblick hatte er seine Arbeit. Das war sehr wichtig.
    Es wurde ihm nun klar, daß die ersten Konzepte alle verdammt falsch gewesen waren, weil sie konstruiert waren (er konnte Lyrik eben nicht ausstehen!), wie alle anderen verdammten Dinge auch. Er hatte direkt von Anfang an nicht die wesentliche, unbestimmbare, unteilbare Identität
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