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Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Bottini
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man mit dreiundvierzig gezwungen wurde, sich die Haare schneiden zu lassen …
    Es ist doch nur ein Anfang, Ben, hatte sie gesagt.
    Ja, hatte Ben Liebermann gesagt.
    Sie fragte sich, wie lange er mitspielen würde. Sie hatte ihm zwei Monate gegeben. Nun waren es schon vier.
    Das war gut und schlecht zugleich.
    Aus dem Anfang war Alltag geworden.

    Um eins saß sie auf ihrem neuen Balkon und blickte auf den Annaplatz hinunter. Zwei Zimmer mit Wohnküche, Altbau, frisch renoviert samt abgezogener Dielen, siebzig Quadratmeter. Groß genug für zwei, aber das Zusammenleben musste man mögen, und sowohl sie als auch Ben Liebermann mochten es nicht. Er kam oft, als Gast, gern morgens um halb sechs nach dem Dienst, wenn sie früh in die Direktion musste. Dann frühstückten sie zusammen und fuhren gemeinsam los. Er hatte ein kleines Appartement im Stühlinger, leicht heruntergekommen und ohne jeden Charme, wie ein Mensch es vielleicht brauchte, der behauptete, er fühle sich in Städten am wohlsten, in denen Krieg gewesen sei.
    Der Krieg in Freiburg zählte nicht. Zu lange her. Ben Liebermann wollte den Krieg in den Häuserfassaden und den Blicken der Menschen sehen. Eines der vielen Rätsel um ihn, die sie noch nicht gelöst hatte. Das einzige, das sie nicht so richtig ernst nehmen konnte.
    Tel Aviv, Priština, Sarajewo, dachte sie mit einem Kopfschütteln. Ihr genügten die kleinen Kriege, jene privaten Kriege, die einzelne Menschen gegen andere Menschen führten, weil sie aus unerfindlichen Gründen beschlossen hatten, dem Drang nach Gewalt nachzugeben.
    Ein Rätsel, das sie nie lösen würde.

    Um halb sechs kam Ben Liebermann. Im trüben Treppenhauslicht wirkte sein Gesicht fahl. Freiburg tat ihm nicht gut, das wusste sie.
    Aber er lächelte, und sie spürte, dass er sich freute, sie zu sehen.
    Sie zog ihn in die Wohnung und begann, ihn auszuziehen. Kleidung flog durch die Dunkelheit, die Dielen krachten. Das Telefontischchen kippte um, die Wohnzimmertür knallte gegen die Wand. Louise lachte. Zwei Verzweifelte bei der Lust.
    Es gab Menschen, die behaupteten, eine Beziehung solle nicht auf Sex basieren. Seit sie Ben Liebermann kannte, scherte sie sich schon gar nicht mehr um solche Vorbehalte, um Vorsicht und Vernunft. Häufiger Sex war definitiv ein guter Anfang für diese Beziehung, in die sie beide sich ohne jegliches Sicherheitsnetz gestürzt hatten. Sie hatte den Dezember bei ihm im kroatischen Osijek verbracht, seit Februar lebte er in Freiburg. Sie waren Geschwister im Geiste, beide absturzgefährdet, da hatten sich zwei gefunden, und das musste ausgelebt werden, nackt und ineinander verhakt. Sex war ein guter Weg, die Angst vor einem Reinfall zu verdrängen. Die Körper konnten sich näherkommen, während die Seelen noch ein paar Hindernisse überwinden mussten.
    Ben Liebermann war alles andere als ein Held aus Frauenträumen, aber was sie im Bett, auf dem Boden, in der Badewanne oder im Auto miteinander taten, war umfassend befriedigend, weil irgendwie alles passte, weil sich die Körper zu verformen schienen, um die Hohlräume des anderen auszufüllen, weil man einfach tat, wozu man Lust hatte.
    »Autsch«, sagte Ben Liebermann.
    »Was?«
    »Du hast mich gebissen.«
    »Höchstens beknappert.«
    Er lachte.
    Sie biss ihn erneut.
    »Autsch«, sagte Ben Liebermann, und sie dachte plötzlich, dass sie diesen merkwürdigen, düsteren, sanften, heimatlosen Mann womöglich eines fernen, fernen Tages lieben könnte.

2
    Um Sieben stapfte sie ausgelaugt durch die leeren Flure der Polizeidirektion. Alfons Hoffmann saß schon in seinem Büro, ansonsten herrschte Stille. Ein Teil der Belegschaft war mit WM-Vorbereitungsseminaren befasst oder beim Confederations Cup in Leipzig oder Frankfurt, wo an diesem Mittwoch das Spiel um Platz drei und das Finale stattfanden. Sprachlehrgänge, Paniktraining, Umgang mit gewaltbereiten Fans, Sicherheitskonzepte, das waren die Themen in diesem Sommer. Wochenlange Hahnenkämpfe – wer durfte nächstes Jahr mit? Wer nicht? Gestandene Männer liefen mit aufgeregten Kinderaugen durch die Gänge. Rolf Bermann, Leiter des Dezernates 11, hatte plötzlich Freunde. Rolf hier, Rolf da, Rolf auf ein Bier? Es ging um viel.
    »Morgen«, sagte Alfons Hoffmann kauend. In der Hand hielt er, wie jeden Vormittag zur vollen Stunde, ein Schokocroissant.
    »Morgen.«
    »Mal beißen?«
    Sie nickte nur, sprechen ging noch nicht wirklich.
    Kauend murmelte sie: »Was Neues zu Nadine?«
    »Nein.«
    Sie stapfte
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