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Jack Reacher 09: Sniper

Jack Reacher 09: Sniper

Titel: Jack Reacher 09: Sniper
Autoren: Lee Child
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hinunter, verließ das Parkhaus durch die unbewachte Ausfahrt, bog zweimal rechts ab und gelangte so in das Straßengewirr hinter den Kaufhäusern. Er war unter dem auf Stelzen verlaufenden Highway hindurch, bevor er die ersten Sirenen hörte. Er atmete auf. Die Sirenen waren nach Osten unterwegs, und er fuhr nach Westen.
    Gut gemacht, dachte er . Erfolgreich eingesickert, sechs Schüsse abgegeben, fünf Ziele getroffen, erfolgreich abgesetzt, cool wie die Unterseite eines Kissens.
    Dann lächelte er plötzlich. Langjährige Statistiken bewiesen, dass eine moderne Armee für jeweils fünfzehntausend Schuss, die ihre Infanterie abgab, mit einem gefallenen Gegner rechnen konnte. Aber bei ihren Scharfschützen mit Sonderausbildung war das Ergebnis besser. Weit besser. Um den Faktor zwölfeinhalb tausend besser. Eine moderne Armee konnte für jeweils Eins Komma Zwei Schuss, die ihre Scharfschützen abgaben, mit einem gefallenen Gegner rechnen. Und dieser Durchschnittswert entsprach zufällig genau fünf Toten bei sechs Schuss. Eine einfache Rechnung. Also hatte ein militärisch ausgebildeter Scharfschütze genau das Ergebnis erzielt, das seine ehemaligen Ausbilder erwartet hätten. Sie wären sehr zufrieden mit ihm gewesen.
     
    Aber seine ehemaligen Ausbilder hatten Scharfschützen fürs Schlachtfeld ausgebildet, nicht für Verbrechen im städtischen Umfeld. Bei Verbrechen in Städten spielen sehr rasch auf dem Schlachtfeld unbekannte Faktoren eine Rolle. Diese Faktoren können dazu beitragen, die Definition eines erfolgreichen Rückzugs zu beeinflussen. In diesem speziellen Fall reagierten die Medien am schnellsten, was nicht überraschend war, weil die Schüsse direkt vor den Fenstern des hiesigen NBC-Kooperationspartners gefallen waren. Zwei Dinge passierten, noch bevor etwa ein Dutzend Augenzeugen mehr oder weniger gleichzeitig auf ihren Handys die Notrufnummer 911 wählten. Als Erstes begannen sämtliche Minicams in dem NBC-Büro zu laufen. Die Kameras wurden hochgerissen und eingeschaltet und auf die Fenster gerichtet. Zweitens begann eine hiesige Fernsehreporterin namens Ann Yanni sich ihren Text für etwas zurechtzulegen, das ihre allererste Sondermeldung in den nationalen NBC-Abendnachrichten sein würde. Sie war angewidert, erschrocken und verängstigt, aber sie erkannte eine Chance, wenn sie eine sah. Also fing sie an, sich in Gedanken zurechtzulegen, was sie sagen würde. Sie wusste, dass Schlagwörter den Tenor einer Meldung vorgaben, und die ersten Wörter, die ihr einfielen, waren Scharfschütze und sinnlos und Schlachterei . Die Alliteration kam ebenso instinktiv wie die Banalität. Aber sie sah dieses Gemetzel als sinnloses Abschlachten. Und Schlachterei war ein großartiges Wort. Es vermittelte das Willkürliche, die Bösartigkeit, die Wildheit, die Brutalität. Es war ein motivloses, unpersönliches Wort. Es war genau das richtige Wort für diese Story. Aber sie wusste auch, dass es als Bildunterschrift nicht geeignet war. Da war Massaker bestimmt besser. Freitagabendmassaker ? Rush-hour-Massaker ? Während sie zum Ausgang lief, konnte sie nur hoffen, dass ihr Grafiker unaufgefordert etwas in dieser Richtung vorlegen würde.
     
    Nicht auf einem Schlachtfeld anwesend sind auch städtische Sicherheitskräfte. Das von Handys eingehende runde Dutzend 911-Notrufe ließ die Telefonkonsole in der Einsatzzentrale wie einen Weihnachtsbaum aufleuchten, und die ersten Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr rollten binnen vierzig Sekunden an. Alle wurden losgeschickt, alle mit eingeschalteten Blinkleuchten und heulenden Sirenen. Jeder Streifenwagen, jeder verfügbare Kriminalbeamte, jeder Spurensicherer, jedes Feuerwehrfahrzeug, jedes Notarztauto, jeder Krankenwagen. Anfangs herrschte völliges Chaos. Die 911-Notrufe waren wirr, von Panik bestimmt gewesen. Aber hier lagen offenbar Verbrechen vor, die schwer waren, deshalb wurde der Chef des Dezernats Schwerverbrechen zum vorläufigen Einsatzleiter bestimmt. Er war ein bewährter, erstklassiger Kriminalbeamter, der sich in zwanzig Dienstjahren vom Streifenpolizisten hochgearbeitet hatte. Sein Name war Emerson. Er schlängelte sich durch den stockenden Verkehr, wich über Baustellen aus: hoffnungslos, verzweifelt, ohne auch nur zu wissen, was passiert war. Raubüberfall, Drogenkriminalität, Bandenkrieg, Terrorismus … er besaß keine zuverlässigen Informationen. Überhaupt keine. Aber er war gelassen. Verhältnismäßig. Sein Puls blieb bei unter hundertfünfzig.
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