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Jack Reacher 01: Größenwahn

Jack Reacher 01: Größenwahn

Titel: Jack Reacher 01: Größenwahn
Autoren: Lee Child
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meines Lebens. Das war das Problem. Das konnte ich keineswegs hinnehmen. Ich hatte gerade erst mein Leben zurückbekommen. Ich hatte sechs Monate Freiheit in sechsunddreißig Jahren gehabt. Diese sechs Monate waren die glücklichsten in meinem ganzen Leben gewesen.
    Also mußte ich weg. Bevor einer von ihnen erfuhr, daß ich von Anfang an hier gewesen war. Mein Entschluß war gefaßt. Ich mußte wieder unsichtbar werden. Ich mußte weit weg vom Scheinwerfer auf Margrave, an einen Ort, auf den diese eifrigen Institutionen nie einen Blick werfen würden. Das bedeutete, meine Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit Roscoe waren zunichte gemacht, bevor sie noch angefangen hatten. Das bedeutete auch, ich mußte ihr sagen, daß dieser Ort es nicht wert war, zwei Jahre meines Lebens aufs Spiel zu setzen. Ich mußte es ihr sagen.
    Wir redeten die ganze Nacht darüber. Wir stritten uns nicht. Wir redeten nur. Sie wußte, daß es richtig für mich war, was ich tun wollte. Ich wußte, daß es richtig für sie war, was sie tun wollte. Sie bat mich zu bleiben. Ich dachte lange nach, sagte aber nein. Ich bat sie, mit mir zu kommen. Sie dachte lange nach, sagte aber nein. Dann gab es nichts mehr zu sagen.
    Wir redeten über andere Dinge. Wir redeten über das, was ich tun würde, und das, was sie tun würde. Und ich bemerkte langsam, daß es mir genauso weh tun würde zu bleiben, wie zu gehen. Aber ich wollte all das nicht, wovon sie redete. Ich wollte keine Wahlen und Bürgermeister und Abstimmungen und Verwaltungen und Komitees. Ich wollte keine Vermögenssteuer und Unterhaltsregelungen und Industrie- und Handelskammern und Strategien. Ich wollte nicht gelangweilt und gereizt hier herumsitzen. Nicht mit den winzigen Gefühlen von Groll und Schuld und Mißbilligung, die größer und größer werden würden, bis sie uns erstickten. Ich wollte, wovon ich ihr erzählte. Ich wollte die Straße vor mir und jeden Tag einen neuen Ort. Ich wollte meilenweit reisen und absolut keine Ahnung haben, wohin ich ging. Ich wollte umherziehen. Mich hielt es nirgendwo.
    Wir saßen und redeten, unglücklich, bis zum Morgengrauen. Ich bat sie, mir einen letzten Gefallen zu tun. Ich bat sie, das Begräbnis für Joe zu arrangieren. Ich sagte ihr, daß ich Finlay dabeihaben wollte und die Hubbles und die beiden alten Friseure und sie. Ich bat sie, die Schwester des alten Mannes ein traurige Lied für Joe singen zu lassen. Ich bat sie, die alte Frau zu fragen, wo die Wiese war, auf der sie vor zweiundsechzig Jahren zu Blind Blakes Gitarrenspiel gesungen hatte. Ich bat sie, Joes Asche über das Gras zu streuen.

    Roscoe fuhr mich mit dem Bentley nach Macon. Um sieben Uhr morgens. Wir hatten nicht geschlafen. Die Fahrt dauerte eine Stunde. Ich saß im Fond, hinter den frisch getönten Scheiben, Ich wollte nicht, daß mich jemand sah. Wir fuhren den Hügel von ihrem Haus hoch und bahnten uns einen Weg durch den Verkehr. Die ganze Stadt war voll. Noch bevor wir die Main Street erreicht hatten, konnte ich sehen, daß es auf dem Platz nur so wimmelte. Dutzende von Wagen parkten kreuz und quer. Fernsehwagen von CNN und verschiedenen anderen Sendern standen herum. Ich kauerte mich in die hinterste Ecke des Wagens. Überall liefen Leute herum, obwohl es erst sieben Uhr morgens war. Überall standen Reihen mit dunkelblauen Limousinen der Regierung. Wir bogen an der Ecke ab, wo der Drugstore lag. Dort standen die Leute bis auf den Bürgersteig um ein Frühstück an.
    Wir fuhren durch die sonnige Stadt. Die Main Street war zugeparkt. Die Wagen standen bis auf die Bürgersteige. Ich sah Feuerwehrautos und Streifenwagen der Staatspolizei. Ich blickte in den Friseurladen, als wir vorbeischlichen, aber die alten Männer waren nicht da. Ich würde sie vermissen. Ich würde den alten Finlay vermissen. Ich würde mich immer fragen, wie sich die Dinge für ihn entwickelt hätten. Viel Glück, Harvard-Mann. Viel Glück auch für die Hubbles. Dieser Morgen würde der Anfang eines langen Wegs für sie sein. Sie würden eine Menge Glück brauchen. Viel Glück auch für Roscoe. Ich wünschte ihr im stillen alles Gute. Sie verdiente es wirklich.
    Sie fuhr mich die ganze Strecke bis nach Macon. Erreichte das Busdepot. Parkte. Gab mir einen schmalen Briefumschlag. Bat mich, ihn nicht sofort zu öffnen. Ich steckte ihn in meine Tasche. Küßte sie zum Abschied. Stieg aus dem Wagen. Blickte nicht zurück. Ich hörte das Geräusch der dicken Reifen auf dem Asphalt und wußte, daß
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