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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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rieche seinen Bieratem. Roni lehnt sich an mich. Ich mache meine Schultern so breit wie möglich.
    Der Irre hat offenbar noch ein paar andere Deppen inspiriert, denn nun grölt es von hinten mehrstimmig: «Motörhead! Motörhead!»
    Sehr witzig. Gerade will ich mich umdrehen und ihnen die Meinung geigen, da geht das Licht auf der Bühne an. Ich höre die unverwechselbare Stimme von Black Francis; er ruft: «Okay.» Bandkollegin Kim Deal intoniert den Basslauf von «Debaser». Ich lege meinen Arm um Roni. Die Gitarre setzt ein, und wir nicken mit dem Kopf im Takt.
    «Motörhead! Motörhead!», grölt der Idiot hinter mir.
    «Was hat der denn für ein Problem?», fragt Roni laut.
    «Ach, vergiss es. Das ist irgendein Besoffener», rufe ich zurück und versuche, mich nicht ablenken zu lassen.
    «Motörhead!», brüllt der Typ.
    Jetzt reicht es. Der versaut mir echt noch die Tour.
    Ich drehe mich um und sehe ihm direkt ins Gesicht. Ein Gesicht außer Rand und Band. Ein Gesicht, das ich gut kenne. Das Gesicht von Jochen, meinem alten Kumpel aus Berlin.
    «Jochen?»
    «Motörhead?»
    Ich bin baff. Mein daueradoleszenter, bester Freund und ehemaliger Mitbewohner steht in seiner ganzen entsicherten Persönlichkeit vor mir. Dabei kommt er eigentlich nie nach Bayern. Ist ihm zu spießig.
    «Jochen, was machst du denn hier?»
    «Blöde Frage – wenn Motörhead spielen, bin ich immer dabei! Rock’n’Roll, Alter! Weißt du noch in Berlin? 98, oder so?»
    Manchmal kann ich echt nicht glauben, dass Jochen älter ist als ich. Ihn hat bestimmt noch nie ein Teenager gesiezt.
    «Jochen, das da sind die Pixies.»
    «Was? Die Pixies? Ist ja geil. Die habe ich noch nie live gesehen.» Er überlegt kurz. «Dich habe ich auch schon länger nicht mehr live gesehen. Was treibst du denn so?»
    Gute Frage, zum Glück ist Jochen ein Typ, den so schnell nichts aus den löchrigen Socken hauen kann. Also frei von der Leber weg: «Ich will Roni nochmal einen Heiratsantrag machen.»
    Jochen öffnet den Mund zu einer Unmoralpredigt, klappt ihn aber gleich wieder zu, als Roni sich umdreht, um zu schauen, was ich mit dem Rocker zu diskutieren habe.
    «Oh. Servus, Jochen.»
    «Hallo, Roni.»
    «Was machst du denn hier?»
    «Stimmung», antwortet Jochen wahrheitsgemäß. Einen Augenblick stehen wir schweigend nebeneinander: Roni links, Jochen rechts, ich in der Mitte. Zwischen Berlin und München. Zwischen meinem alten Kumpel und der Frau, die ich liebe. Alle beisammen und die Pixies auf der Bühne. Besser geht es eigentlich nicht. Das zweite Lied: «Here comes your man.» Jochen beugt sich vor und ruft: «Sagt mal, wo schlaft ihr eigentlich?»
    «Im Zelt: ganz romantisch, zwischen leeren Bierbüchsen und vollen Teenagern. Und du?»
    Er grinst.
    «Ich schlafe auch im Zelt. Weiß nur noch nicht, in welchem.» Roni schaut ihn zweifelnd an. «Na ja, ursprünglich hatte ich eins dabei, aber das habe ich in dem Auto von dem Typen von der Mitfahrzentrale vergessen. Und dann dachte ich mir: Scheiß drauf, Motörhead hatten auch nie ein Zelt dabei.»
    Roni dreht sich demonstrativ zu den Pixies um. Ich auch. Jochen auch.
    Eigentlich ist alles genauso wie eben und doch ganz anders. Wie versteinert starre ich auf die Bühne und sehe Black Francis die Akustikgitarre vom Ständer nehmen. Er spielt die ersten Takte von «Where is my mind». Jetzt schon?
    «Fuck!», rutscht es mir raus.
    «Ich mag den Song», bemerkt Roni.
    «Ich doch auch, ich …», beginne ich und spüre, dass die Zeit zu reden vorbei ist. Ich knie nieder. Alle anderen springen hoch. Von unten sehe ich Jochen. Er ruft: «Sie spielen unser Lied, Alter!»
    Roni hüpft mit der Menge auf und ab. Ich hocke hinter ihr am Boden, als wollte ich mir die Schuhe zubinden. Dann legt sich die erste Welle, und das Geschiebe beginnt. Roni wird nach hinten gedrängt, will sich wieder an mich lehnen oder besser dorthin, wo ich eben noch stand. Bloß knie ich jetzt. Roni kippt ins Leere.
    Ich fange sie auf. Wie ein Geschenk liegt sie in meinen Armen. Einen Moment lang wundere ich mich, dass plötzlich doch wieder alles perfekt ist. Aus den Augenwinkeln sehe ich Jochen, der mit ausgebreiteten Armen die Hüpfenden von uns fernhält. Er nickt mir zu.
    Die Hüpf-Euphorie ebbt ab, endlich lockt die Akustikgitarre die Feuerzeuge heraus: das Flammenmeer! Es wird oben hell und unten kuschelig. Der Ring ist noch da. Ich fummele ihn ungeschickt aus meiner Hosentasche.
    «Roni», flüstere ich, vor lauter Rührung ganz leise.
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