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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric
Autoren: Die Brücke über die Drina
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niedergeschlagen kamen
die Männer unter dem engen und heißen Zelt hervor. Sie fühlten, wie ihnen der
Schweiß unter den neuen Festgewändern herunterrann und wie Furcht und Sorge
schnell und unwiderstehlich von jedem von ihnen Besitz ergriffen.
    Was jetzt auf die Stadt und dieses
ganze Gebiet herabstürzte, war eine große, unverständliche Heimsuchung, deren
Ende man nicht absehen konnte. Zuerst begann man, im Wald Holz zu fällen und
herauszuführen. Soviel Bauholz wurde zu beiden Seiten der Drina aufgestapelt,
daß die Leute lange Zeit glaubten, die Brücke würde aus Holz gebaut. Danach
begannen die Erdarbeiten, das Ausschachten, dann die Arbeiten am felsigen Ufer.
Diese Arbeiten wurden größtenteils in Fronarbeit geleistet. So ging es bis
spät in den Herbst, als die Arbeiten vorübergehend abgebrochen wurden und der
erste Teil des Werkes vollendet war.
    Alles dies wurde unter Abidagas
Aufsicht und unter seinem grünen, langen Stab geleistet, der sogar in das
Volkslied einging. Denn wenn Abidaga mit diesem Stab auf einen zeigte, weil er
bemerkte, daß der faulenzte oder nicht arbeitete, wie er sollte, den ergriffen
die Wachen, die Sejmen, sofort, verprügelten ihn auf der Stelle, begossen den
Blutüberströmten und Bewußtlosen mit Wasser und schickten ihn wieder an die Arbeit.
Ehe Abidaga im späten Herbst die Stadt verließ, berief er wiederum die Ältesten
und die angesehensten Männer der Stadt und sagte ihnen, daß er sich über Winter
an einen anderen Ort begebe, daß sein Auge aber hierbleibe. Alle würden sie für
alles sich verantworten müssen. Wenn man auch nur das geringste an den Arbeiten
zerstört fände oder auch nur eine einzige Latte vom aufgestapelten Bauholz
fehle, dann würde er die ganze Stadt mit einer Geldbuße belegen. Auf ihre
Bemerkung, daß auch eine Überschwemmung Schaden anrichten könne, antwortete er
kühl und ohne zu zögern, dies sei ihr Gebiet und auch ihr Fluß, und damit auch
ihr Schaden, den dieser anrichte.
    Den ganzen Winter über bewachten die
Städter das Bauholz und hüteten die Arbeiten wie ihren Augapfel. Und mit dem
Frühjahr erschien Abidaga mit Tosun Effendi, aber es erschienen auch
dalmatinische Steinmetzen, die das Volk die »römischen Meister« nannte. Es
waren ihrer im Anfang etwa dreißig. An ihrer Spitze stand Meister Antonio, ein
Christ aus Ulzinj. Er war ein hochgewachsener, schöner Mann, mit großen Augen,
kühnem Blick, einer Adlernase und braunem Haar, das ihm bis auf die Schultern
fiel. Er kleidete sich wie ein großer Herr, nach westlicher Art. Sein Gehilfe
war ein Schwarzer, ein richtiger Neger, ein lustiger junger Mensch, den die
ganze Stadt und dieses ganze arbeitende Volk »Mohr« nannte.
    Wenn es im vorigen Jahre, nach den
Holzstapeln zu urteilen, aussah, als beabsichtige Abidaga die Brücke aus Holz
zu bauen, so schien es jetzt den Leuten, als wollte er hier an der Drina ein
neues Stambul bauen. Man begann, den Stein aus den Steinbrüchen
heranzuschaffen, die in den Bergen bei Banja, eine Stunde Weges von der Stadt,
angelegt wurden.
    Im folgenden Jahre brach hier bei
der Wischegrader Fähre ein ganz besonderes Frühjahr heran. Neben dem, was in
jedem Jahre zu dieser Zeit emporkeimt und blüht, sproßte aus der Erde eine
ganze Siedlung von Hütten hervor; es entstanden neue Wege und Zugänge zum
Wasser; zahllose Ochsenkarren und Mietpferde zogen geschäftig hin und her. Vom
Mejdan und Okolischte sahen die Leute, wie mit jedem Tage, unten am Fluß,
gleich einer Saat, das unruhige Gewimmel von Mensch, Vieh und Baumaterial aller
Art ständig wuchs.
    Am steilen Ufer arbeiteten die
Steinmetzmeister. Dieser ganze Fleck nahm die gelbliche Farbe des Steinstaubes
an. Und etwas weiter ab, auf der sandigen Fläche, löschten einheimische Taglöhner
Kalk und bewegten sich, zerlumpt und weiß, durch den weißen Rauch, der sich
hoch über die Kalkgrube erhob. Die Wege waren aufgerissen von überladenen
Wagen. Die Fähre arbeitete den ganzen Tag und beförderte Bauholz, Aufseher und
Arbeiter vom einen Ufer zum anderen. Bis zum Gürtel im grünen Frühjahrswasser
watend, rammten besondere Arbeiter Pflöcke und Pfähle ein und setzten mit Lehm
gestampftes Flechtwerk zusammen, das den Lauf des Wassers ableiten sollte.
    Alles dies betrachtete das Volk, das
bisher friedlich in diesem abgelegenen Städtchen auf den Hängen neben der Fähre
über die Drina gelebt hatte. Und gut wäre es gewesen, wenn es nur hätte
betrachten können, aber diese Arbeiten nahmen
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