Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric
Autoren: Die Brücke über die Drina
Vom Netzwerk:
mittelbar mit der Brücke verbunden waren,
nicht viele Einzelheiten über die Ausführung der eigentlichen Bauarbeiten an
der Brücke erhalten.
    Das Volk behält und erzählt das
wieder, was es verstehen kann und was es zur Legende umzuformen vermag. Alles
andere geht an ihm mit der stummen Gleichmütigkeit namenloser Naturerscheinungen
vorüber, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen. Es berührt seine Phantasie nicht
und bleibt nicht in seiner Erinnerung. Dieses mühevolle und lange Bauen war
ihm eine fremde Arbeit auf fremde Kosten. Erst da sich, als Frucht dieser Mühen,
die große Brücke zeigte, begannen die Menschen sich der Einzelheiten zu
entsinnen und das Werden der nun bestehenden, kunstvoll gebauten und dauerhaften
Brücke mit phantasievollen Geschichten zu schmücken, die sie wiederum kunstvoll
aufzubauen und lange zu behalten vermochten.

3
    Im Frühjahr des Jahres, in dem sich der Wesir
zu dem Bau der Brücke entschloß, trafen seine Leute mit ihrer Begleitung in der
Stadt ein, um alles vorzubereiten, was für den Bau der Brücke notwendig ist. Es
waren ihrer viele, mit Pferden, Wagen, verschiedenen Gerätschaften und Zelten.
Alles dies rief Furcht und Verwirrung in dem kleinen Städtchen und den Dörfern
der Umgebung hervor, besonders unter dem Christenvolk.
    An der Spitze dieser Abteilung stand
Abidaga, der Hauptbeauftragte des Wesirs für den Bau der Brücke, und ihm war
Tosun Effendi, der Baumeister, beigeordnet. Von diesem Abidaga sprach man
schon im voraus als von einem rücksichtslosen, unbarmherzigen und über alle
Maßen strengen Manne. Sobald sie sich in ihren Zelten unterhalb des Mejdan
eingerichtet hatten, berief Abidaga die Vertreter der Behörden und alle
angesehenen Türken zu einer Besprechung. Dabei wurde nicht viel besprochen,
denn es sprach nur einer, nämlich Abidaga. Die Versammelten fanden sich einem
kräftigen Manne gegenüber, mit ungesund rotem Gesicht und grünen Augen, in reicher
Stambuler Tracht, mit kurzem rotem Vollbart und einem nach ungarischer Art
wunderlich aufgewirbelten Schnurrbart. Die Rede, die dieser Gewaltmensch den
versammelten Männern hielt, überraschte sie noch mehr als sein Aussehen.
    »Vermutlich sind euch bereits vor
meiner Ankunft Gerüchte über mich zu Ohren gekommen, und ich weiß schon, daß
diese Gerüchte weder gut noch angenehm sein können. Wahrscheinlich habt ihr
gehört, daß ich Arbeit und Gehorsam von jedem verlange, daß es meine Art ist,
jeden zu schlagen und zu erschlagen, der nicht arbeitet, wie es sich gehört,
und der nicht ohne Widerrede gehorcht, daß es die Worte, ,es geht nicht' und
,das haben wir nicht' bei mir nicht gibt, daß es bei mir für das geringste Wort
um den Kopf geht, kurz gesagt, daß ich ein erbarmungsloser, unheimlicher Mensch
bin. Ich will euch sagen, daß diese Gerüchte weder erdacht noch übertrieben
sind. Bei mir gibt es kein Herumlungern. Einen solchen Ruf habe ich in
langjährigen Diensten in der getreuen Erfüllung der Befehle des großen Wesirs
erworben. Ich vertraue auf Allah, daß ich auch diese Arbeit vollenden werde, zu
der ich entsandt wurde, und ich hoffe, daß mir, wenn ich nach vollendeter
Arbeit von hier fortgehe, noch schlimmere und noch schwärzere Gerüchte
vorangehen werden als die, welche zu euch kamen.«
    Nach dieser ungewöhnlichen
Einleitung, die alle schweigend und mit niedergeschlagenen Augen anhörten,
erklärte Abidaga den Männern, daß es sich um ein Bauwerk von großer Bedeutung
handle, wie es nicht einmal reichere Länder hätten, daß die Arbeiten fünf,
vielleicht auch sechs Jahre dauern würden, daß aber der Wille des Wesirs bis
auf das i-Tüpfelchen und auf die Minute pünktlich erfüllt werden müsse. Danach
erläuterte er, was man zuerst brauche,wie die Vorarbeiten aussehen würden und
was man dabei von den hiesigen Türken erwarte und von den Rajas 5 ,
den Christen, verlange.
    Neben ihm saß Tosun Effendi, ein
schmächtiger, bleicher und gelber Neutürke, von griechischen Inseln gebürtig,
der Baumeister, der schon viele der Stiftungen Mehmed Paschas in Stambul
erbaut hatte. Er war ruhig und gleichmütig, gerade als hörte oder verstünde er
die Rede Abidagas nicht. Er blickte auf seine Hände, und nur von Zeit zu Zeit
hob er den Blick. Dann konnte man seine großen schwarzen, samten glänzenden
Augen sehen, die schönen, kurzsichtigen Augen eines Mannes, der nur auf seine
Arbeit schaut und nichts anderes vom Leben und von der Welt sieht, fühlt oder
versteht.
    Verwirrt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher