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Italienische Märchen

Italienische Märchen

Titel: Italienische Märchen
Autoren: Clemens Brentano
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nimmer ists genug!
Wenn der schwarze Tränenkrug,
Der hier hänget an dem Grabe,
Erst von Tränen überquillt:
Dann erwacht das Marmorbild
Und reicht für die Tränengabe
Kron und Szepter, Leut und Land,
Lieb und Freundschaft, Herz und Hand
Dann der frommen Weinerin
Gerne hin.
Also heißt der Zauberspruch
In dem alten Wunderbuch.
     
    Und neben dieser Inschrift hing ein großer Tränenkrug, in welchen wohl zwei Maß gingen. Liebseelchen nahm diesen Krug herab, setzte sich auf die Bank an dem einen Springbrunnen hin, nahm den Krug zwischen die Kniee, hängte das Haupt über ihn nieder, und es kamen ihr so traurige Gedanken, daß ihr die Augen wie zwei Kristallquellen von Tränen überflossen. So saß sie da in bitterer Wehmut und weinte. Ihr Pferdchen graste ringsherum und kam manchmal zu trinken zu ihr an den Brunnen. Und die Sonne stieg, und das Grabmal warf einen Schatten, und der Schatten ward kleiner und verschwand; und die Sonne stand hoch oben, es war Mittag; und der Schatten fiel nach der andern Seite und ward groß und größer, es ward Abend, die Sonne sank; es ward Nacht, die Sterne kamen und der Mond; und der Morgen kam und fand Liebseelchen immer weinend.
    Der zweite Tag verging und die zweite Nacht; da war das arme Liebseelchen so müde und so abgeweint, daß ihr alle Gedanken vergingen und ihr der Kopf auf den Rand des Brunnens sank. Sie schlief ein, und der Krug war erst dreiviertel voll; da kam das Pferdchen zu ihr herangelaufen und schaute sie an, und da es seine liebe Prinzessin so blaß und so verweint sah, ward es gar betrübt, und es flossen dem treuen Tier auch große Tränen aus den Augen und in das Gefäß nieder, so daß in wenig Minuten der Krug bis auf einen Finger breit voll war.
    Aber nun kam eine häßliche, böse, schwarze Mohrin mit einem Eimer an den Brunnen, Wasser zu holen, und da der Schimmel nie Mohren gesehen hatte, erschrak er und trabte weg in die Ferne. Diese Mohrin kannte sehr wohl den Zauberspruch, der an dem Brunnen stand, und da sie sah, daß Liebseelchen den Krug beinahe vollgeweint hatte, nahm sie ihr denselben leise, leise zwischen den Knieen weg, holte eine Zwiebel aus der Tasche und rieb sich die Augen damit, worüber ihr die Tränen so reichlich niederflossen, daß der Krug voll wurde. Als sie den letzten Tropfen hineinweinte, fing der Krug an überzufließen. Das Steinbild des Prinzen Röhropp rührte sich, rieb sich die Augen, streckte sich, gähnte wie einer, der vom Schlaf erwacht, richtete sich auf, stieg herab und umarmte die garstige Rußika, so hieß die Mohrin, pochte dann mit seinem Schwerte an das Grab. Das tat sich auf; da kamen allerlei Kammerdiener und Hofdamen heraus und viele Pagen; die legten der Mohrin einen goldenen Mantel um und setzten ihr eine Krone auf; dann kamen auch allerlei Musikanten heraus, und alle ordneten sich in einen Zug, und die Musikanten zogen voraus und spielten, und sie zogen wie eine Hochzeit nach der Stadt, welche mit allen Glocken zu läuten anfing, um ihren entzauberten Prinzen nebst seiner Braut zu empfangen.
    Sie waren schon ein Stückchen Wegs weggezogen, als das Pferdchen zu Liebseelchen herankam und so heftig zu wiehern begann, daß sie erwachte. Da sah sie dem Zuge nach und begriff bald ihr Unglück. Sie rang die Hände und raufte die Haare und weinte genug, um den Krug nochmals zu füllen; aber verschlafen war verschlafen! Da rasselten, wie sie sich die Augen trocknen wollte, die goldenen Wünschelnüsse der drei alten Mütterchen in ihrer Schürze, und sie gedachte des Spruches der Alten, daß die Nüsse ihr in der Not helfen sollten.
    »Wohlan! ich will mein Heil versuchen«, sprach sie – setzte sich auf das Schimmelchen und ritt ruhig nach der Stadt. In der Stadt fand sie alles voll Jubel und Freude, daß der Prinz Röhropp von seinem Zauberschlaf erlöst sei, und sie kaufte sich seinem Palaste gegenüber, worin er mit der bösen Mohrin wohnte, ein prächtiges Haus für die Edelsteine, die sie aus Schattenthalien mitgebracht, mietete sich viele hübsche und fromme Mägde, welche sie alle in weiße Kleider mit roten Bändern geschmückt kleidete; sie selbst aber ging immer schwarz, zum Zeichen ihrer Trauer, nur trug sie oft eine grüne Schärpe, zum Zeichen, daß sie noch hoffe, glücklich zu werden. Ihr gutes Schimmelchen hatte einen marmornen Stall und eine Krippe von Elfenbein, und sie fütterte und tränkte es mit ihren eigenen Händen. Ihren Dienerinnen hatte sie lauter schwarze Pferde gekauft und ritt
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