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Italienische Märchen

Italienische Märchen

Titel: Italienische Märchen
Autoren: Clemens Brentano
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geworden, das sich jetzt recht wohl bei andern Lämmern im Himmel befinden mag.«
    Nach diesen Gedanken wurde Liebseelchen von Mamsell Pimpernell gestört, welche mit aller Gewalt die Verstorbene wieder einschnüren wollte und ihr die heftigsten Vorwürfe machte, daß sie sich aus Eigensinn nicht rühre und rege. Liebseelchen konnte es nicht länger mit ansehen und sprach zu Mamsell Pimpernell, indem sie dieselbe sanft zurückzog: »Schnürlieschen hat ausgelitten; hören Sie auf, Ihre Reden an die Überreste eines armen Kindes zu verlieren, dessen Seele bereits außer dem Umfange aller Schnürleiber und Halsbänder ist. Ich habe ihren letzten Willen empfangen und werde für ihre Beerdigung sorgen. Ich kenne das unglückliche Schicksal des armen Schnürlieschens in seinem ganzen Umfang. Sie hat Ihnen von Herzen verziehen, und nach ihrem ausgesprochenen letzten Willen rede ich keine Silbe von allem, was Ihnen, Mamsell Pimpernell, sehr übel bekommen könnte, wenn es bekannt würde.«
    Mamsell Pimpernell fühlte sich von diesen Worten Liebseelchens so angegriffen, daß sie in Ohnmacht sank. Liebseelchen bekümmerte sich nicht um sie, rief aber ihrem Gefolge und befahl ihnen, das Bett, worauf Schnürlieschen lag, welche sie mit ihrem Schleier bedeckt hatte, nach dem Schlosse zu tragen, und allen andern Jungfrauen und Mägdlein, welche bei Mamsell Pimpernelle erzogen wurden, befahl sie, paarweise dem Zuge nachzufolgen.
    Alles eilte, den Willen der geliebten Prinzessin zu vollbringen, und vorzüglich die Zöglinge der Mamsell Pimpernelle, welchen dieses außerordentliche Ereignis eine große Freude machte. Sie hatten ihre Staatskleider wegen des Empfanges Liebseelchens noch an und waren daher sogleich bereit, ihr zu folgen, und da sie fröhlich durcheinanderplapperten, als sie die Botschaft erhalten hatten, und einander fragten, durch welche Straße der Zug wohl gehen und wer von ihnen an dem Hause seiner Eltern oder Freunde vorüberkommen würde, sagte Liebseelchen, die an ihnen vorüberging, indem sie dem Schnürlieschen folgte, das auf seinem Lager die Treppe hinabgetragen wurde: »Meine Kinder, wer hat Schnürlieschen am liebsten gehabt?« Da sagten alle: »Ich, ich, ich!« Da erwiderte Liebseelchen: »Das wollen wir alles untersuchen; jetzt aber stellt euch nach der Größe, um ihr nach dem Schlosse zu folgen.«
    Da gab es wieder eine große Verwirrung, denn eine klagte über die andere, sie habe höhere Absätze oder einen höheren Aufsatz. Einige aber standen ganz still im Hintergrund. Liebseelchen winkte ihnen, vorzutreten, und ordnete die andern paarweise, wie es ihr gutdünkte, und fragte sie, ob sie nicht ein schönes, frommes Lied singen könnten. Sie konnten aber keine anderen Lieder als französische: Malbrough s'en va-t-en guerre, miron ton ton tonton taire, oder Je ne saurais danser, ma pantoufle est trop étroite , welches auf deutsch heißt: »Ich werde nicht tanzen können, mein Pantoffel ist zu eng« u. dgl. Da sagte Liebseelchen: »Hat denn Schnürlieschen kein Lieblingslied gehabt?« – »O ja«, erwiderten mehrere, »und wir können es alle, aber wir durften es nicht singen.«

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