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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman
Autoren: Arena
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lecken?
    »Nee, das wusste ich nicht«, bemerkte Elfe kichernd, aber es scheint zu stimmen. Seht mal, hinter euch macht sich gerade Nummer zehn zum Affen.«
    Ich drehte mich um und mein Blick fiel auf einen Jungen mit hellen, fast weißen Haaren, der sich wohl schon länger im Schatten der Gruppe aufgehalten hatte. Offensichtlich in dem Gefühl, noch immer unbeobachtet zu sein, versuchte er, den Spruch auf dem T-Shirt des ziegenbärtigen Jungen zu überprüfen. Er hielt den einen Arm hinter seinem Kopf und zog mit der Hand am Gelenk des umgeknickten anderen Arms, um den Ellenbogen zu seinem Mund zu bewegen, was natürlich nicht funktionierte. Eine gute Handbreit fehlte. Mit weit ausgestreckter Zunge versuchte der Junge, den Abstand auszugleichen, wobei sich sein Gesicht zu einer grotesken Grimasse verdrehte. Mittlerweile hatte Elfe auch den Rest der Gruppe auf ihn aufmerksam gemacht. Lautes Gelächter erscholl und der Junge ließ wütend die Arme sinken. Sein hübsches Gesicht wurde feuerrot und sein betont lässiges Schnauben brachte die anderen nur noch mehr zum Lachen.
    »Glückwunsch«, bemerkte der ziegenbärtige T-Shirt-Träger trocken. »Du hast den Idiotentest bestanden. Ich hab übrigens noch ein anderes T-Shirt, auf dem steht: Wusstest du, dass es unmöglich ist, sich selbst am Arsch zu lecken? Das kannst du uns dann ja auch auf der Insel dokumentieren, dann haben wir das gleich auf Film.« Nummer zehn ballte die Fäuste, aber blieb stumm, während sich Elfe vor Lachen bog.
    Das zierliche Mädchen mit der Glatze war Nummer elf.
    Ich hatte sie gar nicht kommen sehen, aber plötzlich stand sie da, neben Tempelhoffs Assistentin, klein, zart, die großen Augen weit aufgerissen. Sie sah aus, als hätte sie nicht von Deutschland, sondern von einem anderen Planeten aus den Flug nach Rio de Janeiro angetreten.
    »Jetzt fehlt nur noch So… «, setzte Elfe gerade an, als hinter meinem Rücken ein Bellen ertönte. Im nächsten Moment leckte mir eine feuchte Zunge über die Hand.
    »Hey, wen haben wir denn da? Gehörst du etwa zu Solo? Davon hat er mir im Flugzeug ja gar nichts erzählt!« Elfe beugte sich über den Hund, ein großer pechschwarzer Labrador, der sich hechelnd und schwanzwedelnd von ihr den Kopf kraulen ließ, ohne dabei von meiner Seite zu weichen. Und dann sah ich ihn, den Jungen mit dem traurigen Lächeln. Solo – der Einzelgänger. Ja, dieser Name passte zu ihm.
    In langsamen, gelassenen Schritten kam er auf uns zu und das Instrument, das er wie einen Bogen über der Schulter trug, kannte ich nur allzu gut. Der gebogene Holzstock mit der langen Drahtsaite und dem ausgehöhlten Kürbis war eine Berimbau.
    Vielleicht – auch das sage ich manchmal, wenn mich heute die Fragen überfallen –, vielleicht war in Wirklichkeit Solo der Grund, warum ich mich damals nicht von der Gruppe entfernte. Als ich ihn sah, hatte ich ein plötzliches und unerklärlich tiefes Gefühl von Ruhe.
    »Dann seid herzlich willkommen«, sagte Tempelhoffs Assistentin und steckte ihr Klemmbord in die Tasche. »Draußen warten die Fahrer auf euch, dann geht es zum Hafen nach Angra dos Reis und von dort nach einer kleinen Erfrischung ab aufs Boot. Wenn wir Glück haben, seid ihr noch vor Sonnenuntergang auf der Insel. Na, aufgeregt?«
    Sie zwinkerte in die Runde und zwölf Köpfe nickten zurück.
    Unsere Fahrt durch Rio sehe ich im Rückblick nur noch wie eine rasende Abfolge von Bildern vor mir; fiebrige, zuckende, einander jagende Bilder, wie in einem zu schnell geschnittenen Musik-Clip. Es waren Bilder, die mir in den Augen schmerzten, die ich nicht verarbeiten konnte, weil sie zu viele waren, zu viele auf einmal, zu bunt, zu grell, zu widersprüchlich – und viel, viel zu dicht an mir dran.
    Ich teilte einen Wagen mit Solo, Elfe und Neander, dem riesigen Jungen mit dem Strohhut und den breiten Schultern. Solo saß mit seinem schwarzen Labrador auf dem Beifahrersitz, ich war hinten eingestiegen und musste die Beine hochziehen, weil der Fahrer seinen Sitz so weit zurückgestellt hatte. Auf der Mitte der Rückbank klemmte Neander, der durchdringend nach Schweiß roch, und am anderen Fenster saß Elfe. Ich nahm ihre Stimme wahr, aber ich hörte ihre Worte nicht, sie rauschten dahin, ohne Unterlass, wie ein Wasserhahn, den man vergessen hat abzustellen, und sie vermischten sich mit den Geräuschen Rios, dieser lärmenden, stinkenden, atemberaubenden Stadt, die mich jetzt mit ihren Eindrücken bombardierte.
    Hupende Busse,
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