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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman
Autoren: Arena
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von Quint Tempelhoff erhalten hatte, als er mir Anfang Oktober in seinem Studio mitteilte, dass ich an seinem neuen Filmprojekt teilnehmen würde.
    Mädchen und Jungen , erst jetzt merkte ich, wie unpassend das klang. Aber wären die Bezeichnungen Frauen und Männer passender? Was war ich – mit siebzehn? Wenn es stimmt, dass die deutsche Sprache aus ungefähr einer halben Million Wörtern besteht, dann frage ich mich, warum ein so wesentlicher Begriff wie der zwischen Mädchen und Frau nicht darin enthalten ist.
    Im Brasilianischen ist es genauso. Menina heißt Mädchen, Mulher heißt Frau. Aber in der Umgangssprache, wie ich mittlerweile weiß, gibt es zahllose Begriffe für das weibliche Geschlecht. Gathina , das Kätzchen, Gata , die Katze, Flor , die Blume, Brotinho , die Knospe …
    Über meinem Sitz gingen die Anschnallzeichen aus.
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Sie waren rissig und trocken von der Kälte. Wie so oft war der Winter über Nacht gekommen, um sich grob und ungebeten für die nächsten Monate in Deutschland breitzumachen. Aber wir flogen in den Sommer und das deutsche Grau würde durch ein Meer aus Farben ersetzt werden.
    Ich hielt Ausschau nach der Stewardess, die vorne in der ersten Klasse beschäftigt war. Es würde dauern, bis ich etwas zu trinken bekam. Stattdessen tauchte ein lilafarbener Wuschelkopf vor meiner Sitzreihe auf.
    »Hey, bist du dabei?«
    Ich zuckte zusammen.
    Der lila Wuschelkopf gehörte zu einem molligen – ich entschied mich für Mädchen . Auf jeden Fall sah sie jünger aus als ich. Sie trug ein langes, wallendes Kleid, das aus unzähligen blauen, lilafarbenen und grünen Stoffmustern zusammengestückelt war. Manche von ihnen waren mit glitzrigen Pailletten und kleinen Spiegelscherben bestickt. Die Lippen des Mädchens waren pechschwarz geschminkt und verzogen sich zu einem breiten Lachen, während mich seine goldbraunen Augen neugierig musterten. Ehe ich etwas erwidern konnte, zwängte sich das Mädchen mit einem gemurmelten »’tschuldigung« an dem älteren Herrn vorbei, um sich zwischen uns auf dem freien Sitz niederzulassen. Sie roch süß, nach Moschus oder Patschuli, irgendetwas Indischem jedenfalls, und ich hielt unwillkürlich die Luft an.
    »Du fliegst auf die Insel, stimmt’s?« Das schwarze Lippenstiftlachen wurde noch breiter, dann streckte mir das Mädchen die Hand entgegen – eine Hand, an deren Gelenk drei Reihen bunter Glasperlen klimperten – und stellte sich, ohne meine Antwort abzuwarten, als »Elfe« vor.
    »Das ist mein Inselname, ich schätze mal, der echte interessiert nicht, oder? Also, ich wette jedenfalls, du bist dabei. Wie heißt du?«
    Für einen Moment überlegte ich, ob es mir passte, mich auf diese mollige Wallewalle-Elfe einzulassen. Die Vorstellung, dass ich die nächsten zwölf Stunden ihren süßen Moschusduft einatmen musste, machte mich noch nervöser, als ich ohnehin schon war. Aber etwas an ihr mochte ich seltsamerweise sofort und vielleicht würde sie mich ablenken – von mir selbst.
    »Vera«, sagte ich.
    »Vera?« Elfe runzelte die Stirn. »In echt oder auf der Insel?«
    Ich zögerte. »Auf der Insel.«
    »Hm.« Elfe streifte ihre Schuhe ab und versuchte, sich in einer Schneidersitzposition auf den schmalen Sitz zu quetschen, wobei sie dem älteren Herrn das Knie in die Seite rammte. »’tschuldigung ...« Sie griff in die Tasche ihres Kleides, kramte ein zusammengefaltetes Stück Zeitungspapier hervor, klappte es auf und hielt mir einen Artikel mit einem Foto von Quint Tempelhoff unter die Nase.
    »Lies mal, was da über unser Projekt steht«, sagte sie, aber ehe ich dazu kam, tippte sie auf das Foto unseres Regisseurs. »Warst du auch bei Tempelhoff im Studio zu Probeaufnahmen? Wie fandest du ihn?« Elfe kräuselte ihre winzige Nase. »Seltsame Augen, oder? Hat er dich auch so gemustert? Wo hat er dich entdeckt? … ’tschuldigung!« Elfe hatte dem älteren Herrn erneut ihr Knie in die Seite gerammt, machte aber keinerlei Anstalten, ihre Schneidersitzposition aufzugeben.
    Ich musste lächeln. Ich verstand nicht viel vom Film, schon gar nicht von Projekten dieser Art, aber wenn die anderen Mitglieder unserer Crew nur halb so schräg waren wie diese Elfe, dann würden wir eine wilde Mischung sein.
    Ich betrachtete das Foto von Quint Tempelhoff. Genau wie bei unserer ersten Begegnung fielen mir auch hier wieder seine verschiedenfarbigen Schuhe auf. Es waren halbhohe Schnürschuhe aus glänzend poliertem und
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