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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Er …«
    »Er ist dort in den Wald, Herr«, beeilte eine Frau sich zu sagen, ihr Zeigefinger wies die Stelle, an der der Fremde verschwunden war. Einer der berittenen Begleiter warf Walther von Ascisberg einen Blick zu, dieser nickte. Die drei Männer gaben ihren schwitzenden Pferden die Sporen, die, vom Schmerz in ihren Seiten angetrieben, vorschossen, ein paar empört gackernde Hühner aufsteigen ließen und in den Wald brachen.
    »Er beherrscht die dunklen Künste«, sagte eine helle Stimme. Von Ascisberg wandte sich ihr zu. Es war Therese.
    »Ich weiß«, erwiderte er ebenso sachlich wie müde.
    Therese war verdattert, weil die erhoffte Wirkung auf ihre Worte bei diesem Hohen Herrn ausblieb. Der Mann wendete sein Pferd und verschaffte sich freien Blick auf die Burg derer von Laurin.
    »Er hat ein totes Kind zum Leben erweckt«, sagte eine andere Frau.
    Von Ascisberg wendete sein Pferd abermals. Seiner zerfurchten Stirn gesellten sich Sorgenfalten hinzu, als er die Frau ansah. »Ein totes Kind zum Leben erweckt?«
    Therese kam es in den Sinn, dass sie dem Tod aus Langeweile an der Seite des Bauern entgehen und stattdessen ein Leben an der Seite dieses Herrn führen könnte. Also trat sie vor ihn. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen – Gott ist mein Zeuge.« Dabei warf sie ihm ein einnehmendes Lächeln zu, das üblicherweise bei Männern verfing – an diesem aber wirkungslos abperlte.
    »Wo ist es, Weib?«
    Thereses Lächeln wurde hölzern, sie deutete in die Hütte.
    Walther von Ascisberg glitt rasch von seinem Pferd, in einer einzigen, fließenden Bewegung, die die Umstehenden dem alten Mann nicht zugetraut hätten.
    Der Säugling starrte vor Dreck, die Hebamme machte keinen besseren Eindruck auf ihn. Der Gestank drang durch die Nase direkt in den Kopf und beschwor Bilder vor seinem inneren Auge herauf, die Walther von Ascisberg nie mehr sehen wollte.
    Eigentlich.
    Er musterte die Tote und den Blutfleck, der sich vor ihrem Schoß ausgebreitet hatte. »Sie ist verblutet«, stellte er fest.
    Irmgard nickte.
    »Wer ist der Vater?«
    Die Hebamme deutete ein Achselzucken an. Walthers gestrenger Blick traf sie.
    »Letzten Frühling war sie beim Reisigsammeln im Wald«, brachte Irmgard hervor. Ein Bastard, dachte von Ascisberg. Oder auch nicht. Der Mann, der in ebendiesem Moment seiner Lunge und seinen Beinen alles abverlangte, um am Leben zu bleiben, war hier gewesen.
    Von Ascisberg musterte den Säugling, dessen Gesicht seine bläuliche Verfärbung langsam verlor. »Es war tot, sagt das Gesinde?«
    Die Hebamme nickte. Sie hatte ein breites, rosiges Gesicht.Mit ihrem Körperumfang war sie in der vorteilhaften Lage, dem harten Frost zu trotzen. Aber ihre Augen waren müde und ohne Glanz.
    »Der Mann, was wollte er hier?«
    »Das hier«, sie hob den Säugling etwas an, »das war tot.« Sie blickte auf den kleinen Jungen hinab, hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Verblüffung.
    »Und weiter?«
    Die Ungeduld in der Stimme von Walther von Ascisberg war unüberhörbar. Irmgard wusste seit frühester Kindheit, welche Unannehmlichkeiten es mit sich bringen konnte, einem Herrn die Laune zu verderben.
    »Es war tot«, beeilte sie sich deshalb zu sagen, »der Mann hat ihm einen Teil seiner Seele gegeben, und dann ist es aus dem Reich der Toten zurückgekommen. Gott ist mein Zeuge.« Ihre rechte Hand beschrieb etwas fahrig das Kreuz in der Luft.
    »Ein Stück seiner Seele – hat er diese Worte benutzt?«
    Die Hebamme nickte eifrig, um ein Haar hätte sie mit ihrem Kinn dem Kopf des Kindes einen Stoß versetzt.
    Walther von Ascisberg atmete tief durch für das, was jetzt vor ihm lag. »Gib es mir und geh«, befahl er, ohne dabei die Stimme zu heben.
    Irmgard zögerte, bis sie dem Blick des Mannes begegnete. Dann drückte sie ihm den Säugling in die Arme und verließ die Hütte mit eiligen Schritten und ohne sich noch einmal umzusehen.
    Von Ascisberg schloss die Tür, die nur lose in den Angeln hing und durch deren Ritzen der Winterwind pfiff. Dann legte er das Neugeborene neben den Füßen seiner leblosen Mutter ab und ertappte sich dabei, mit welcher Sanftheit er dabei zu Werke ging. Mit welch unangemessener Sanftheit.
    Sein Blick fiel auf die Münzen, als er sich gerade wieder aufrichten wollte. Er nahm eine davon in die Hand und rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger, seine Augen ließen nach, kein Wunder bei seinem Alter, er war immerhin Anfang vierzig, und so war er erleichtert, einen Lichtstrahl zu
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