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Irsud

Irsud

Titel: Irsud
Autoren: Jo Clayton
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Teil des Behanges von dem Rest los und entblößte einen Teil der Wand, der von einem weiteren Türbogen durchbrochen war.
    Die Hiiri langte hinauf und breitete ihre Hand über ein milchig weißes Quadrat aus. Ein Licht ging an, beleuchtete einen kleinen, geheimen Raum.
    Aleytys trat auf ein herunterhängendes Ende der Bettdecke und hätte sich beinahe selbst erwürgt. Ungeduldig murmelnd raffte sie einige weitere Falten hoch und trottete vorsichtig durch den Durchlaß.
    Leere Regale, Stangen, Haken … Die Kleidung der alten Königin war bis auf ein paar formlose, zeltähnliche Gewänder, die an Haken neben dem Türbogen hingen, weggeräumt worden. Die Hiiri schob sich an ihr vorbei und runzelte hierüber nachdenklich die Stirn. Sie hob eine bewegliche, blaugrüne Masse von ihrem Haken. „Da wäre dies hier.“
    Sie schüttelte munter die Falten und hielt das Kleidungsstück zu Aleytys hin. „Die Kipu muß dies für Euch hierher gehängt haben. Wenn Ihr mehr wollt, wendet Euch an sie, Hieno-nai-nen.“
    Aleytys seufzte. Nach einer Minute Kampf bekam sie die mehrfachen Schichten der blaugrünen Seide über den Kopf und zog sie über den Körper herunter; die Decke ließ sie gleichzeitig zu Boden fallen. Sie befestigte die Broschen an den Schultern und schüttelte sich, damit die seidenen Stoffschichten, die bis zu den Knöcheln reichten, über die Haut glitten und sich in anmutige Falten legten. Sie fühlte sich sofort weniger verwundbar und wandte sich mit einer neuen Selbstsicherheit in den Bewegungen an die Hiiri. „Die anderen Räume?“
    Die Hiiri neigte ihren Kopf und verließ die Kammer. Etwas weiter die Wand entlang zog sie den Behang erneut beiseite, berührte den Lichtschalter und wartete darauf, daß Aleytys sie einholte.
    „Dieser Raum ist für die Bedürfnisse Eures Körpers, Hienonainen.“
    Eine riesige, in den Boden eingelassene Wanne nahm den halben Raum ein. Ein kunstvoller, thronartiger Nachtstuhl, aus gehämmertem Gold gefertigt, mit Juwelen besetzt, hatte einen dazu passenden fellgepolsterten Fußschemel. Aleytys blinzelte, dann kicherte sie. „Mein Gott“, sagte sie mit vor Ehrfurcht vibrierender Stimme, „so etwas habe ich noch nie gesehen.“
    „Ja, Hienonainen.“ Die höfliche, farblose Stimme der Hiiri saugte Aleytys’ plötzlich aufgekommene gute Laune ab. Sie sah auf das kleine, gleichmütige Gesicht und seufzte. Die Hiiri senkte demütig ihren Blick und entfernte sich zur anderen Seite des Zimmers hin, wobei sie hinter dem großen Bett, dicht an der Glaswand, vorbeikam.
    „Warte.“ Aleytys lief leichtfüßig zu ihr; vor dem klaren Glas blieb sie stehen. „Die anderen Räume können warten. Gibt es einen Weg da hinaus?“ Sie spreizte ihre Finger auf dem Glas und schaute begierig in den sonnenerhellten Garten hinaus.
    „Ja, Hienonainen.“ Die Hiiri zog den Gobelin weiter beiseite und legte einen Teil des Glases frei, in den zwei milchige Rechtecke eingelassen waren. Sie klopfte mit ihren Fingern auf das oberste Rechteck und trat zurück, als ein Teilstück des Glases schnell und leise nach oben glitt. „Um zu schließen“, sagte sie tonlos, „klopft zweimal dorthin.“ Sie zeigte auf das untere Rechteck, das jetzt mehr als einen Meter außerhalb ihrer Reichweite war. Aleytys drängte sich an ihr vorbei und trat in das Gras hinaus.
    Die Sonne hatte die falsche Farbe, ein Eidottergelb anstelle von Rot oder Blau, und sie stand allein am Himmel. Sie schaute auf, schüttelte dabei das Haar aus und ließ die sanfte Brise darin spielen.
    Das Gras war kühl unter ihren Füßen. Es fühlte sich richtig an, obwohl das Grün nicht so dunkel war wie das, an das sie sich erinnerte. Selbst das Wasser sah unter dieser gelben Sonne heller, leuchtender aus. Wieder spürte sie die plötzliche Orientierungslosigkeit, als ihr Körper auf die Falschheit des Fühlens reagierte. Sie fühlte sich zu leicht, zu kühl, zu … Es fiel ihr schwer, sich all die Dinge bewußt zu machen, die ihr Körper hier als falsch empfand. Aber die Gerüche der grünen, wachsenden Dinge waren gerade noch dieselben … Sie schloß die Augen und machte ein paar weitere Schritte in dem Gras; ließ sich durch das Fühlen und den Geruch in der Erinnerung in das Tal zurückbringen, in dem sie aufgewachsen war. Einen tiefen, schmerzlichen Moment lang roch sie den scharfen, reinen, durchdringenden Duft der Horans, die entlang dem Raqsidan wuchsen, hörte das lachende Tosen dieses Bergflusses. Sie sank auf die Knie, und
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