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Irrflug

Irrflug

Titel: Irrflug
Autoren: M Bomm
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womit der Kompasskurs 310 Grad gemeint ist. In all den Jahren, seit sie auf dem Fluggelände arbeitete, hatte sie sich den Jargon der Piloten angewöhnt.
    Sie hatte jetzt die Vorderseite des Hallengebäudes erreicht, das der Tower mit seinen unterschiedlichen Antennen überragte. Entlang der Start- und Landebahn fuhr sie bis zum nächsten Hallenkomplex weiter. Vor ihr lag die große Asphaltfläche, auf der tagsüber die Sportflugzeuge standen. Jetzt war der Platz menschenleer.
    Die Flugplatz-Anlage schien noch in tiefen Schlummer versunken zu sein: Eine verträumte Senke, einerseits von einem weiten Waldgebiet begrenzt, andererseits von den Erdbeerplantagen und Obstbaumwiesen. In der Luft das frühsommerliche Konzert der Vögel. Im Radio spielte ein alter Titel der Bee Gees, als der blaue Golf langsam auf den Hangar der Motorflugschule zurollte.
    Doch die Träume nahmen ein jähes Ende, denn als ihr Blick auf den Hangar fiel, der vor ihr im hellen Sonnenlicht lag, traf es sie wie ein Donnerschlag. Ihr Herz begann wie wild zu rasen, sie spürte, wie sich der Schreck in all ihren Gliedern breit machte. Was sie da sah, ließ ihr den Atem stocken. Sie schluckte und kniff die Augen zusammen, um den Blick zu schärfen. Instinktiv nahm sie den rechten Fuß vom Gaspedal, als ob sich etwas dagegen sträubte, näher an die Halle heranzufahren. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war. Aber heute Morgen, das war nicht zu übersehen, war alles anders.
    Während der Golf im Schritttempo ausrollte und ruckelnd zum Stehen kam, versuchte sie, wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Hatte sie etwas vergessen? Hatte man ihr am Vorabend etwas gesagt, woran sie sich nicht mehr erinnerte? Wer, so überlegte sie krampfhaft, wer hatte zu dieser ungewohnten Zeit zum Flugplatz kommen wollen? Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Das silberne Schwenktor der Halle, erst vor einem Jahr installiert, stand offen. Drinnen im Hangar parkten die kleinen Sportflugzeuge dicht aneinander. Von Weitem ein Gewirr aus Tragflächen, Höhenrudern und Propellern. Angelika Druschkowsky erkannte, dass eines der Flugzeuge fehlte. Jenes, das ganz vorne gestanden war. Als ob der Flugbetrieb bereits begonnen hätte.
    Und dann sah sie auch das Kleiderbündel, das direkt vor der Halle auf dem Asphaltboden lag. Angelika Druschkowsky griff wie in Trance zum Zündschlüssel und startete den Motor wieder, um näher heranzufahren. Sie schaltete das Radio aus und ließ die Seitenscheibe herabgleiten. Vielleicht gab es Geräusche, verdächtige Stimmen. Nein, nichts davon.
    Am angebauten Büro-Trakt waren die Rollos noch unten, kein Auto parkte vor dem Gebäude. Da war wirklich niemand. Für einen Augenblick überfiel sie der Gedanke, das Hallentor könnte am Vorabend versehentlich nicht geschlossen worden sein. Doch verwarf sie diese Möglichkeit sofort wieder, denn heute musste schon jemand da gewesen sein. Irgendjemand hatte eine Maschine aus der Halle genommen. Die Blau-Weiße fehlte. Es war die Cessna, die ›Echo-Bravo‹ genannt wurde. Flugzeuge tragen stets den Namen, wie er sich nach dem internationalen Alphabet aus dem Zulassungs-Kennzeichen ableitet. In Deutschland beginnt es mit einem D, dem nach einem Querstrich vier weitere Buchstaben folgen. Die letzten Beiden davon geben dem Flieger den Namen. ›EB‹ steht für ›Echo-Bravo‹.
    Und diese ›Echo-Bravo‹ fehlte, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Aber was hatte es mit diesem Kleiderbündel da vorne auf sich? Angelika Druschkowsky ließ, mit weichen Knien und feucht-kalten Händen, ihren Golf näher heranrollen, ohne die Halle und das Gelände daneben aus den Augen zu lassen.
    Das Bündel entpuppte sich als Jeans, als eine blaue Jacke, und als Damenschuhe, keine eleganten, sondern eher Turnschuhe. Angelika Druschkowsky trat entsetzt auf die Bremse, der Motor starb wieder ab. Sie sah die dunkelbraunen Haare, den Kopf, das Gesicht. Und das viele Blut, das sich dunkelrot auf der Asphaltfläche abzeichnete.
    Sie umklammerte wie gelähmt das Lenkrad. Und blickte auf das, was sie für ein Kleiderbündel gehalten hatte. Es war ein Mensch, eine junge Frau, die eine hässliche Wunde am Hals aufwies, aus der das viele Blut geflossen war.
    Die Sekretärin starrte durch die Windschutzscheibe, als habe sie diese Frau, die da vorne lag, soeben mit dem Auto überfahren. Langsam, wie in Trance, versuchte sie auszusteigen. Die Knie zitterten, sie hielt sich mühsam an der offenen Wagentür
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