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Irrflug

Irrflug

Titel: Irrflug
Autoren: M Bomm
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jedenfalls gut, die Berge ließen sich problemlos überfliegen.
    Häberle unternahm erneut einige Versuche, Rottler zu erreichen. Doch aus dem Lautsprecher des Funkgeräts drang außer einem Rauschen nichts. Betretenes Schweigen auch bei den Beamten. Häberle starrte auf die Landkarte. Wieder überkam ihn das Gefühl der Machtlosigkeit: Tatenlos mit ansehen müssen, wie ein Verrückter sich ihren Zugriffen entzog.
    Der Phantom-Pilot setzte weitere Standort-Meldungen ab: Sonthofen, dann den Überflug der österreichischen Grenze – hinein ins Tannheimer Tal. Hektische Telefonate mit dem Lagezentrum, dem es gerade noch rechtzeitig gelungen war, die österreichischen Flugsicherungsbehörden vom Zwischenfall zu unterrichten. Offenbar hatte man die Österreicher davon überzeugen können, dass es sich um keinen terroristischen Akt handelte und es sinnvoll wäre, den verrückten Flieger irgendwo landen zu lassen, damit er keinen Schaden anrichtete. Die Stuttgarter konnten ohnehin beruhigen: Vermutlich werde die Cessna schon bald rechts südwärts abdrehen, um das Engadin anzusteuern. Eine glatte Fehleinschätzung, wie sich wenig später herausstellte.
    Rottler blieb auf Ostkurs. Um ins Engadin zu gelangen, das stellten die Männer um Häberle anhand der Landkarte fest, hätte er längst nach Süden abdrehen müssen. Doch jetzt war er schon über Reutte in Tirol.
    Die Zeit kroch dahin. Ein Anruf von der Hahnweide riss die Beamten aus ihrem verharrenden Schweigen. Horst Hauff, der Chef der Motorflugschule, war von der Kirchheimer Sonderkommission an Ulm verwiesen worden. Seine Stimme verriet höchste Anspannung. Häberle ließ sich den Telefonhörer reichen und schilderte die Situation, ruhig und sachlich, distanziert.
    „Wir tun unser Möglichstes”, versicherte er und verschwieg, dass ihm eigentlich die Hände gebunden waren. Er versprach, sich sofort telefonisch auf der Hahnweide zu melden, wenn es etwas Neues gab. Dann legte er auf, denn der Phantom-Pilot hatte soeben gemeldet:
    „Leichte Drehung nach Süden – geradeaus die Zugspitze.”
    „Die Zugspitze”, entfuhr es Häberle und ging um den Tisch. Die Kollegen machten ihm Platz. Er wollte den untersten Bereich der Landkarte genauer sehen, wo ein Uniformierter mit einem Linial den bisherigen Kursverlauf und die mögliche Zielrichtung andeutete. Häberle stellte ungläubig fest: „Tatsächlich, der hat’s auf die Zugspitze abgesehen.”
     
    Ins Lagezentrum nach Stuttgart liefen die Drähte heiß. Von mehreren Telefonapparaten aus schilderten die Führungskräfte den unterschiedlichsten Stellen die drohende Gefahr. Inzwischen hatte sich auch der Innenminister persönlich eingeschaltet.
    „Die Zugspitze evakuieren, ist illusorisch”, erklärte Häberle den umstehenden Männern. „Uns bleiben allenfalls sieben, acht Minuten, dann ist der dort. Vielleicht sogar weniger.”
    Ein Uniformierter ließ den Blick nicht mehr von der ausgebreiteten Landkarte. „Wenn der auf die Aussichtsplattform knallt, gibt’s eine echte Katastrophe: Was glauben Sie, wie viele Leute da an einem Tag wie heute droben sind!”
    „Vielleicht gelingt es uns, die Aussichtsplattform räumen zu lassen”, schrie ein Beamter zu den Telefonierenden hinüber. Einer hob die Hand zum Zeichen dafür, dass er den Vorschlag verstanden hatte und an Stuttgart weitergeben würde.
    Sieben Minuten später meldete sich der Phantom-Pilot: „Zielobjekt Kurs auf Zugspitze, Höhe sechstausend Fuß. Zweitausend Meter. Das reicht nicht zum Überfliegen.”
    Die Männer im Lehrsaal schwiegen betreten. Die Telefonierenden drehten sich zu Häberle um. Der blickte stumm auf die Landkarte.
     

38
    Auch in 2966 Metern Höhe war es ein strahlender Sommernachmittag. Jetzt, kurz vor 18 Uhr, stand die Sonne noch immer hoch am Westhorizont. Nur die Sicht, das hatten die Besucher der Zugspitze den ganzen Nachmittag beklagt, war nicht besonders gut. Die Hitze hatte viel zu viel Wasser in die Atmosphäre gesogen und diesen bläulichen Sommerdunst gebildet. Dafür war’s hier oben angenehm kühl. Knapp 18 Grad. In Richtung Süden tat sich ein traumhafter Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Alpen auf. Die Besucher, die am Fuße der zahlreichen Antennen standen, sich gegenseitig fotografierten oder von einer Aussichtsstelle zur anderen schlenderten, nahmen das aus Westen herannahende Sportflugzeug nicht zur Kenntnis. Oft genug kreisten kleine Maschinen um das Wettersteingebirge, umrundeten den Eibsee oder kamen von
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