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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus
Autoren: Franz Fuehmann
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denen allein dies Volk lebt, sind etwas grö ßer als unsre Oliven; sie sind von einer klebrigen Haut überzogen und schmecken süßer als reife Feigen, ja süßer als ein Gemisch von Rosinen und Honig, und wer ihren lieblichen Geschmack einmal gekostet, vergisst Heimat, Familie und Vaterland und kennt nur mehr einen Wunsch: sich sein Leben lang dem Genuss dieser köstlichen Süße hinzugeben.
    Das mussten auch unsere drei Herolde erfahren, die wir ausgesandt hatten, den Lotophagen unseren Gruß zu überbringen: Sie wurden von den Einwohnern aufs Freundlichste aufgenommen und sogleich mit Lotosfrüchten bewirtet, und als sie diese Speise verzehrt hatten, vergaßen sie ihren Auftrag, vergaßen sie mich und die Schiffe und die Gefährten, ja, sie vergaßen selbst ihren Namen, lehnten sich an die rissigen Stämme des Lotosbaumes und blickten wie die Träumenden in die Weite und kauten im seligen Genießen die süße vergessenmachende Frucht. So fand ich sie, da ich schließlich nach ihnen suchte; die Lotophagen wollten auch mich freundlich bewirten, allein ich begriff, was meinen Gefährten widerfahren war, da ich sie so blöde hocken und kauen sah, und befahl, sie, die mich nicht mehr erkannten und auf meine Stimme nicht hörten, gewaltsam auf die Schiffe zurückzuführen.
    Weinend wehrten sich die drei und wollten nicht weichen, allein ich befahl, sie, da sie nicht gehen wollten, wie ein Bündel mit Stricken zusammenzuschnüren und an Stangen gehängt zu den Schiffen zu tragen. Eilends stachen wir dann in See, und als das Land der Lotosesser aus unserer Sicht verschwunden war, stellte sich bei meinen gebundenen Gefährten auch die Erinnerung wieder ein.
Auf der Ziegeninsel
    Wir ruderten angestrengt und stießen, als die Sonne sank, aufs Land der Kyklopen. Die Kyklopen sind Riesen und besitzen, wie die meisten Riesen, nur ein Auge mitten auf der Stirn. Sie stammen allesamt von den Göttern ab, und darum haben ihnen die Himmlischen auch alles Nötige gegeben, ihr Leben zu unterhalten: den fettesten Boden, das trefflichste Vieh, das sü ßeste Wasser, den geschütztesten Hafen, die lieblichsten Winde und das mildeste Wetter; sie brauchen nicht pflügen noch säen, noch pflanzen, ja kaum zu ernten; die Sonne keltert den Wein in der Traube, und Roggen und Gerste reifen auf dem Halm zu Brot. So sind sie ungewohnt fast aller Arbeit geblieben und darum ungeschlacht und roh und tölpelhaft; sie kennen weder Gesetze noch öffentliche Versammlungen und leben für sich al lein in Felsenhöhlen. Auch verstehen sie weder Eisen zu schmieden noch Schiffe zu bauen und wissen darum nichts von anderen Völkern und dem Wandel und den Sitten der weiten Welt. Ein Paradies könnte ihr Land sein, wenn sie es nur pflegten und bestellten; es könnte blühen und grünen und von Früchten überquellen; schneeweiße Städte könnten sich in den Tälern erheben und im Hafen die Schiffe aller Herren Länder wimmeln wie die Fische in der See. So aber ist trotz des reifenden Weines und Brotes ihr Land ein wüstes, wegloses Gelände: Die Wälder sind zu undurchdringlichen Hecken verfilzt, und nur das Gemecker der Bergziegen und das Brüllen der Rinder durchhallt die Öde, denn die Kyklopen kennen weder Tanz noch Lied, noch Musik.
    In diesem Land also legten wir an, da schon die Nacht einfiel. Wir zogen die Schiffe den Strand hinauf und schlummerten tief. Als das Frührot anbrach, entdeckten wir, dass wir auf einer Vorinsel gelandet und vom eigentlichen Land der Kyklopen noch durch einen Meerarm getrennt waren. Wir blieben zunächst auf der Insel, schlachteten von den Ziegen, die in Rudeln herrenlos herumliefen, so viel wir nur zu verzehren vermochten, und da wir uns in der geplünderten Kikonenfestung reichlich mit Wein versehen hatten, verlebten wir den Tag mit fröhlichem Schmaus. Am nächsten Morgen aber sta chelte mich die Neugier, zum Land der Kyklopenhinüberzufahren; mich reizte es zu erkunden, ob dieses Volk wahrhaftig so wüst ist, wie sein Ruf es erzählt.
In der Höhle des Kyklopen
    Ich machte also mein Schiff flott und ruderte mit meiner Mannschaft zum anderen Strand hinüber. Dort angekommen, erblickten wir am Hang eines steinübersäten Berges einen Lorbeerhain, der mit einem mächtigen, mehr als burghohen Wall aus Felsblöcken und Stämmen umfriedet war, und in gleicher Höhe mit ihm gähnte im Hang die Öffnung einer riesigen Höhle.
    Ich wählte zwölf meiner tapfersten und erprobtesten Männer aus und gebot den andern, das Schiff
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