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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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individueller Wahnsinn gar nicht mehr so sehr ins Gewicht. Ja, die psychische Störung kann sogar eine besondere Fähigkeit sein. Psychisch kranke Menschen sind, wertfrei beschrieben, zunächst einmal nur außergewöhnlich.
     
    Die meisten leiden unter dieser Außergewöhnlichkeit. Deswegen haben sich Ärzte ihrer angenommen und die Psychiatrie erfunden. Und dabei wurden Therapien entwickelt, mit denen man Leiden vermindern und aus außergewöhnlichen Menschen wieder gewöhnliche Menschen machen konnte. Doch ob Gewöhnlichsein immer von Vorteil ist? Jedenfalls haben moderne Therapeuten neuerdings entdeckt, dass es ganz unsinnig ist, die psychische Störung nur wie irgendeine Macke
zu behandeln, die man möglichst schnell weghobeln muss. Denn nicht selten kann man das Problem sogar mit einigen genialen Kunstgriffen zur Lösung umarbeiten. »Was ist das Gute am Schlechten?«, fragte schon der österreichisch-amerikanische Psychotherapeut und Bestsellerautor (»Anleitung zum Unglücklichsein«) Paul Watzlawick. Er begründete damit eine ressourcenorientierte Sicht von Psychotherapie, die sich bemühte, Licht auf die Fähigkeiten eines Menschen zu werfen, der sich selbst bisher eigentlich nur als Bündel von Problemen sah. »Die Lösung hat mit dem Problem nichts zu tun«, fügte der große Therapieerfinder Steve de Shazer hinzu und plädierte dafür, den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit radikal und ausschließlich auf die verborgenen oder vergessenen Kräfte des Patienten zu richten. Wird der Patient wieder auf seine Fähigkeiten aufmerksam, dann können die auch wieder wirken und das reiche allemal, um gute Lösungen zu finden.
     
    Normale dagegen müssen gar nichts neu beleuchten. Wegen eines allzu dicken Fells oder wegen eines öden Gutwetterlebens haben sie nie die Chance, an wirklich herausfordernde Grenzen zu gelangen. Normalsein kann ein tragisches Schicksal bedeuten. Kein Wunder, dass sich die Normalen daher rächen, Kriege anzetteln, sich aufs Rauben, Morden und Betrügen verlegen, um dem Leben eine Spannung zu verleihen, die es sonst nicht hätte. Manchmal spielen sie auch einfach nur verrückt. »Es ist ganz nützlich, wenn man überall für verrückt gehalten wird«, sagt Audrey Hepburn in »Frühstück bei Tiffany«.

A Unser Problem sind die Normalen

I Wahnsinn
    Wahnsinn finden Psychiater bei bestimmten Krankheiten. Die Öffentlichkeit spricht aber viel häufiger vom »ganz normalen Wahnsinn« und meint damit keine Krankheiten, sondern die flächendeckenden Merkwürdigkeiten, von denen die Massenmedien landauf landab berichten. Die Folgen dieses ganz normalen Wahnsinns sind erheblich desaströser als die harmlosen Spinnereien eines Schizophrenen aus dem Nachbarhaus. Dieser offen zutage liegende ganz normale Wahnsinn beweist mit letzter Evidenz die beunruhigende These dieses Buches: Unser Problem sind die Normalen!

1. Der ganz normale Wahnsinn - Hitler, Stalin und die Hirnforschung
    War Hitler verrückt? Für viele Menschen ist diese Frage schnell beantwortet. Ein solcher Massenmörder muss doch verrückt gewesen sein! Gewiss, normal ist es nicht, einen Weltkrieg auszulösen und Völkermord zu betreiben. Doch ist das schon gleich krank? Keineswegs! Denn wenn es so wäre, dann müsste man einen Hitler vielleicht sogar für schuldunfähig erklären. Soweit man weiß, hat nur ein einziger Psychiater, der spätere Heidelberger Lehrstuhlinhaber Karl Willmanns, Hitler jemals von Nahem gesehen. Doch auch von Ferne hat noch kein ernst zu nehmender Psychiater Adolf Hitler Schuldunfähigkeit bescheinigt. Er war gewiss eine monströse Erscheinung, maßlos in seinem Hass, in seiner Aggression, in seinem Vernichtungswillen, aber krank war er eben nicht. Zu behaupten, Adolf Hitler sei krank gewesen, banalisiert das Entsetzliche der historischen Katastrophe, die mit diesem Namen verbunden
ist. Man hätte dann Hitler ja nur anständig psychiatrisch behandeln müssen und das ganze Problem hätte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Mit ein bisschen Medikation, ein bisschen betreutem Wohnen und vor allem Arbeitstherapie für einen psychisch kranken Münchner Kunstmaler wäre der Tod von Millionen von Menschen zu verhindern gewesen. Doch das ist Unsinn. Hitler war normal, schrecklich normal. Er war so normal, dass er sogar eine besondere Fähigkeit hatte, sich ganz genau auf die Normalen einzustellen, nämlich genau das zu sagen, was die hören wollten, was bei denen ankam. Joachim Fest hat in seiner klassischen
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