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Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)

Titel: Invasion der Barbaren: Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus (German Edition)
Autoren: Peter Heather
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zu einer großen Umwälzung in der materiellen Kultur, in deren Verlauf Bräuche und Objekte weite Verbreitung fanden, die dort zuvor nicht typisch gewesen waren. Einige dieser charakteristischen neuen Besonderheiten hatten zudem im Polen des 1. und 2. Jahrhunderts zum Alltagsleben gehört. Die archäologischen Indizien allein genügen zwar nicht als Beweis für eine Wanderung der Goten von der Ostsee in die Schwarzmeerregion, aber zusammen mit den zeitgenössischen Berichten spricht vieles dafür, dass sie tatsächlich stattfand. Auch wenn den Quellen zufolge diese Wanderung von vielen Einzelgruppen und nicht von einem ganzen »Volk« unternommen wurde und manche dieser Gruppen ursprünglich vielleicht sehr klein waren, muss dies nicht auf den gesamten Migrationsprozess zutreffen. Die Goten des 3. Jahrhunderts liefern ein ausgezeichnetes Beispiel für einen stetig wachsenden Migrationsstrom, der erst nachließ, als die Terwingen die Karpen als dominierende Gruppe zwischen Donau und Karpaten in den beiden Jahrzehnten vor und nach 300 abgelöst hatten. Ähnliches gilt für die Langobarden, auch wenn in ihrem Fall die Zeugnisse spärlicher sind.
    Die Präsenz der Langobarden am Unterlauf der Elbe südlich von Dänemark ist im 1. und 2. Jahrhundert eindeutig belegt. Es gibt keine zeitgenössischen Hinweise auf größere Bevölkerungsverschiebungen in dieser Region während der Römerzeit, und die archäologischen Funde lassen lediglich auf einige relativ kleine Migrationen schließen. Doch in den 490er Jahren waren die Langobarden in ausreichender Zahl am Oberlauf der Elbe präsent, um in die Westhälfte der Großen Ungarischen Tiefebene zu ziehen und dort durch ihre Übermacht die Hegemonie der Heruler zu brechen. Somit fand der langobardische Vorstoß Richtung Donau ähnlich dem der Goten zum Schwarzen Meer in Form einer großen Bevölkerungsbewegung statt, unabhängig davon, wie er zu Beginn der Wanderung ausgesehen haben mochte. Die Berichte über Massenmigrationen bei Jordanes und in den langobardischen Quellen sind demnach keine freie Erfindung, selbst wenn sie manches falsch darstellen. Die nachfolgenden Züge der Goten und der Langobarden, die zwischen den ursprünglichen Wanderungen und der Abfassung unserer Quellen stattfanden, waren Massenmigrationen großer gemischter Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel Italien: die Ostgoten trafen 488/489 dort ein, die Langobarden rund 80 Jahre später.
    Bei genauerer Betrachtung geben uns daher weder Jordanes noch die langobardischen Quellen Grund zu der Annahme, dass die auch in anderen Berichten geschilderten Migrationen großer Gruppen reine Erfindung sind. Allerdings darf man nicht dem Trugschluss erliegen, die nachweislichen Beispiele für Großgruppen-Migrationen im 1. Jahrtausend würden mit dem Modell der Invasionshypothese übereinstimmen. Nicht einmal die größten Gruppen waren ganze »Völker«, die in stets gleicher Zahl von einem Ort zum anderen zogen. Unterwegs gewannen und verloren sie des öfteren Mitwanderer. Das trifft vermutlich vor allem auf anhaltende Migrationsströme wie die der Goten im 2. und 3. Jahrhundert und der Langobarden im 4. und 5. Jahrhundert zu, ist aber nur bei einigen Großgruppen-Migrationen eindeutig belegt. Bei solch großen Gruppen waren Entscheidungsprozesse naturgemäß schwierig, und es kam oft zu Abspaltungen. So ließen die Terwingen, die 376 ins Römische Reich übersiedelten, nördlich der Donau einen beträchtlichen Teil ihrer Bevölkerung zurück, die an der alten Führerschaft festhielt. Thiudimir, der Vater Theoderichs des Großen, verursachte eine weitere Abspaltung, als er 473 die Goten aus Pannonien in den römischen Balkan führte. Und Theoderich selbst ließ später Angehörige der gotischen Elite zurück, die in der politisch-militärischen Hierarchie Ostroms Aufnahme fanden. Es gab aber auch Neuzugänge. Den Langobarden schlossen sich auf dem Weg nach Italien eine gemischte Gruppe von 20 000 Sachsen und Überlebende der Machtkämpfe an, die nach Attilas Tod an der mittleren Donau getobt hatten. Theoderich fügte der gotischen Gefolgschaft, die sein Onkel und er über zwei Generationen hinweg aufgebaut hatten, eine Anzahl Rugier hinzu. Ähnlich verhielt es sich mit den beiden Vandalengruppen und den Alanen, die gemeinsam den Rhein überquerten. Angesichts des römischen Gegenangriffs in Spanien schlossen sie sich enger zusammen und bildeten bei der Invasion in Nordafrika 429 unter der Asdingen-Monarchie eine
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