Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion
Autoren: Will Elliott
Vom Netzwerk:
begeistert zu. Einer war Aden, der andere Adens jüngerer Bruder. Aden hatte bis zu diesem Moment vergessen, dass er überhaupt einen Bruder hatte. »Eigentlich wollte eure Mutter nicht, dass ich euch diese Geschichte vorlese«, sagte Herbert. »Sie könnte euch Angst einflößen, meint sie. Aber ich finde, dass ihr jetzt große, tüchtige Jungs seid. Und Geschichten, die Angst einflößen, tun das aus einem ganz bestimmten Grund: Sie wollen uns eine Lehre sein. Eigentlich ist auch nur das Wort ›tot‹ gruselig, und wer wird sich schon vor einem Wort fürchten? So, jetzt habe ich die Katze aus dem Sack gelassen! Jetzt kennt ihr das Wort. Und war es so schlimm? Hat es euch Angst eingeflößt?«
    Die beiden Jungen schüttelten feierlich die Köpfe.
    »Gut, dann können wir anfangen. Die Geschichte heißt Von dem Tode des Hühnchens . Auf eine Zeit ging das Hühnchen mit dem Hähnchen in den Nussberg …«
    Aden zog sich aus der Szene zurück und kam zu einem Krankenhaus. Nein – zu einem Pflegeheim, wo ein kranker, welker Greis zusammengesunken in einem Rollstuhl saß. Eine Pflegerin beugte sich über das Bett, um es frisch zu beziehen. Herbert schaute respektvoll weg, als ihr dabei der Rock in die Höhe rutschte, und entdeckte Aden an der Tür. Der alte Mann runzelte die Stirn, als versuchte er sich krampfhaft an etwas zu erinnern.
    »Ich bin es, Opa«, sagte Aden. »Bring mich zurück. Ich glaube, dass ich die Zusammenhänge verstehe. Bring mich zurück in dein Leben, weiter zurück als bis hierher. Zeig mir, was ich sehen muss. Okay? Schaffst du das? Irgendein Teil fehlt. Bring mich zu dem Zeitpunkt zurück, als deine Welt entstand.«
    Aden verließ den Raum und kam in einen Garten, wo ein junger Herbert Keenan den Zaun strich und sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirn wischte. Er drehte sich um, sah Aden und winkte. »Vorwärts«, rief Aden. »Ein Stück vorwärts.«
    Erinnerungen rollten ab – manche dramatisch, manche trivial. Eine feindselige Begegnung mit Adens Vater, bei der es fast zu einer Prügelei kam; Herbert in einer Bibliothek, wie er mit kindlichem Staunen vor dem »Fantasy«-Regal stand; Herbs Pensionierung.
    Und dann geschah es.
    Herbert, um die sechzig, saß in einem Arbeitszimmer, vor sich eine Reihe von Bleistiftskizzen. An der Wand befand sich eine dieser gezeichneten Karten, wie man sie in Dutzenden von Trilogien fand. Herbert drehte sich um, als Aden zur Tür hereinkam. »Hallo«, sagte er. »Ich hatte heute nicht mit dir gerechnet. Aber angenehme Unterbrechungen sind immer willkommen.«
    Aden betrachtete die mit Klebstreifen an die Wand geheftete Karte genauer. Ein Name am unteren Rand war angestrichen. Nightfall. »Darf ich dir ein wenig bei der Arbeit zuschauen, Opa?«
    »Nur zu«, erwiderte Herbert. Er deutete auf den Papierkorb, der randvoll mit zusammengeknüllten Blättern war. »Obwohl ich heute einfach nichts zuwege bringe.«
    Aden ging neben dem Stuhl seines Großvaters in die Hocke. »Warum das denn?«
    Herbert seufzte. »Irgendwie kann ich mich nicht auf den Hauptcharakter festlegen. Den Protagonisten. Ich dachte, ich hätte einen Roman in mir – wie angeblich die meisten Menschen. Aber allem Anschein nach gilt das nur für manche von uns. Bei anderen beschränkt sich das auf ein Dutzend Prologe. Und große Pläne. Egal. Ist ja nur ein Zeitvertreib.« Wieder seufzte er und löste den Blick von den Papierkugeln, die neben den Abfallkorb gefallen waren. »Ich rede mir zumindest ein, dass es nur zum Zeitvertreib ist, aber das stimmt nicht. Ich male mir diesen Ort seit einer halben Ewigkeit aus. Seit ich Tolkien las, vermutlich, und meine Liebe zu Drachen entdeckte. Wenn im Dienst nicht viel los war, dachte ich mir eine Handlung aus, die Charaktere und so fort.«
    Aden musste schlucken, bevor er antworten konnte. »Was wird das? Was genau versuchst du zu schreiben?«
    »Einen Roman natürlich. Einen Fantasy-Roman.« Er lachte. »Ein Hobby. Nichts Ernstes. So stellt es sich zumindest im Moment dar. Ich hatte gedacht, es wäre eine gute Beschäftigung für den Ruhestand. Aber vielleicht gehe ich doch besser angeln. So wie früher. Erinnerst du dich noch an unsere Angelausflüge, Aden?« Herbert schaute ihn an. Hinter seinem Lächeln verbarg sich eine tiefe Trauer.
    »Es tut mir so leid, Opa«, sagte Aden, ohne genau zu wissen, was er damit meinte. Er hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, und seine Kehle war wie zugeschnürt. »Es tut mir so leid.«
    »Schon gut,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher