Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion
Autoren: Will Elliott
Vom Netzwerk:
das Ding an die Stelle gelangt, von der er sich gerade entfernt hatte? Die Leinwand selbst war leer, mit einem blutroten Rand, der den Eindruck erweckte, die Farbe ergösse sich über den Rahmen. Er beugte sich herab, strich mit den Fingerspitzen sanft über die glatte, leere Fläche. So glatt war sie, dass er den sonderbaren Drang verspürte, sich darauf auszustrecken. Er zerrte den Rahmen aus dem Bereich des tropfenden Wasserhahns. Ein Berg schmutziger Wäsche in der Ecke neben der offenen Tür verströmte einen starken Schweißgestank. Draußen im Gang kündeten Schritte und laut knarrende Dielenbretter von einer Welt jenseits des kleinen kalten Badezimmers.
    Im Spiegel huschte der Umriss einer hochgewachsenen Frau vorbei, die im trüben Licht des Korridors krumm und irgendwie missgestaltet wirkte. Aber das konnte täuschen, da er sie nur flüchtig erspäht hatte. Sie summte eine fröhliche Melodie, als sie vorbeiging, ohne einen Blick durch die einen Fußbreit geöffnete Badtür zu werfen. Weitere Geräusche. Von unten das ferne Dröhnen einer Stimme, die an einen Bären erinnerte und lautstark Fragen durch die Gegend brüllte.
    »Gleich komme ich, gleich«, vernahm er die heisere Antwort der Frau, die einen neckischen Ton angeschlagen hatte. Sie schien glücklich und zufrieden zu sein. Ihre Schritte wurden leiser und entfernten sich über eine Stiege nach unten. Knarr, knarr, knarr. Aus der Tiefe drang erneut das Dröhnen. Vom Badezimmer aus ließ sich unmöglich erkennen, ob die Stimme fröhlich oder wütend klang.
    »Wer bist du?«, fragte Aden den Spiegel. Der blieb stumm.
    Wieder kam das Dröhnen von unten, laut wie Schmerzgebrüll. Vielleicht bin ich ja Goldlöckchen, dachte er und führte zum Spaß einen seltsamen Tanz auf. Er genoss die lächerlich eckigen Bewegungen seines spillerigen, bleichen Körpers, der nur aus Ellbogen, Knien, Rippen und einem wild schlackernden Schwanz zu bestehen schien. Als er in den schmuddeligen Klamotten herumwühlte, fühlte er sich plötzlich ausgelassen und unbekümmert. Er fand eine lange Hose, in deren Bundschlaufen noch ein Gürtel baumelte. Er zog sie an, obwohl sie bestialisch stank, und schnallte den Gürtel so eng wie möglich. Dann spähte er in den Korridor hinaus. Die Stimme, die wie Donnergrollen zu ihm heraufklang, hob und senkte sich im Gespräch. Hin und wieder klirrte Besteck, oder ein Krug wurde laut scheppernd auf einem Tisch abgestellt.
    Die Dielenbretter knarzten, als er auf Zehenspitzen den Flur betrat, mit einer Hand die rutschende Hose festhaltend, sorglos gegenüber jeglicher Gefahr. Was konnte einem Toten schon Schlimmes begegnen? Was er zunächst für einen Teppich unter den Füßen gehalten hatte, entpuppte sich als eine dicke Schicht loser Borsten, manche rötlich, manche dunkelbraun. Er kniete nieder und hob etwas von dem verfilzten Zeug auf, um es genauer in Augenschein zu nehmen. Flöhe krochen darin herum.
    Die verblichenen, mit gelben Blümchen gemusterten Tapeten im Korridor wiesen an vielen Stellen lange, parallele Risse auf, die von scharfen Krallen zu stammen schienen. Jemand hatte die schlimmsten Schäden mit gelber Farbe überpinselt.
    Aden blieb vor einem großen Foto stehen. Es zeigte einen Hünen mit grimmig blitzenden Augen, der einen Arm um einen zweiten Mann gelegt hatte, Letzterer eindeutig ein Irrer, der schlaff in die Kamera winkte, leicht schielend, mit einer wilden Haarmähne und einem starren Grinsen. Der zweite Mann schien nackt zu sein. Beide Männer waren vom Hals abwärts mit Blutspritzern übersät. Die Aufnahme verriet nicht, von wem das Blut stammte (wenn es überhaupt von einem der beiden stammte).
    Außerdem schmückten Gegenstände die Wände, die Aden beunruhigt hätten, wenn er nicht tot gewesen wäre: brutale Hieb- und Stichwaffen mit schartigen, auf Hochglanz polierten Schneiden, die wie Zierrat oder Trophäen an Lederriemen aufgehängt waren. Neben einer antik wirkenden Uhr, deren Pendel sich nicht mehr rührte, hing eine gerahmte Urkunde mit folgendem Wortlaut:
    Gewidmet
    ALFRED GORR
    für zehn Jahre treue Dienste
    für Days Past und die Weltenmacher-Kirche
    Aden erreichte eine Holztreppe, die noch lauter knarzte als die Dielenbretter und deren Stufen sich bei jedem Schritt durchbogen. Am unteren Ende befand sich der Haupteingang des Hauses. Die Türfüllungen wiesen die gleichen tiefen Rillen auf wie die Tapeten droben im Flur. Das Werk scharfer Klauen, wenn er sich nicht täuschte. Die Schlösser und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher