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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion
Autoren: Will Elliott
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außen passt. Auch wenn Blut erst mal nicht besonders romantisch klingt. Aber ich meine, Ihre Frau …« Er unterbrach sich, bevor ihm die Kränkung entschlüpfte. »Das Herz zum Beispiel. Besteht hauptsächlich aus Blut und ist doch das Symbol der Liebe. Yeah, malen Sie einfach was! Es muss gar nichts Besonderes sein, aber es wäre ein ganz persönliches Geschenk, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Mister Gorr rieb sich nachdenklich das Kinn. Die Stoppeln kratzten über seine fette Pranke wie Schmirgelpapier über Holz. »Ha!«, polterte er. »Kennt sich aus in Herzensdingen, der junge …«
    »Aden, wenn mich nicht alles täuscht.«
    »Eden. Hmm, Eden. Guter Name. Aber mit was malen?«
    »Tusche? Kreide? Blut?«
    Mister Gorrs Miene umwölkte sich, während er überlegte. »Tusche, Kreide … Innerei-Soße!« Er sprang auf, stürmte zur Tür hinaus und stampfte durch den Flur, dass die Wände wackelten. In der Ferne schepperten Küchengeräte. Mrs. Gorr begann zu schelten.
    Aden holte die Zeichnung aus seiner Tasche und betrachtete sie aus der Nähe. Kein Zweifel, sie stellte seinen Großvater dar. Herbert Keenan war aus irgendeinem Grund die einzige Person aus seinem früheren Leben, an die sich Aden deutlich erinnerte. Auf der Skizze mochte er um die sechzig sein, ein durch und durch unauffälliger Mann: große Nase, große Ohren, breite, gelichtete Stirn, Schnauzer, Brille. Er lächelte nicht. Sein Blick war ins Leere gerichtet und wirkte irgendwie abwesend. Ein Tagträumer.
    Mister Gorr kam mit Gepolter zurück. Aden verstaute die Skizze wieder in der Tasche.
    Der Koloss schleppte einen der großen schwarzen Kessel an, stellte ihn vor Adens Füßen ab und schaute ihn erwartungsvoll an, als wartete er auf weitere Anweisungen. Auf dem Grund des Topfes schwappte ein klumpiger Soßenrest. Mehr davon klebte an den Seiten. »Ein Pinsel?«, schlug Aden vor. »So ’n Ding zum Wändestreichen?«
    Mister Gorr dachte angestrengt nach. »Pinsel, Pinsel … Malerpinsel. Hatte mal einen, aber wo der inzwischen sein mag … Hmm.« Wieder stampfte er durch das Haus und kehrte diesmal mit einer Frisierbürste zurück, in der ganze Nester von Mrs. Gorrs langen braunen Haaren hingen. In der anderen Hand schwenkte er ein Glas mit roter Flüssigkeit.
    »Das mit dem Blut war doch nicht ernst gemeint«, sagte Aden.
    »Corberts Blut«, erklärte Mister Gorr mit einem Grinsen. »Extrafarbe. Rote Farbe. Für den Übergang, hmm? Fangen wir an, mein Junge! Eden, stimmt’s?« Mister Gorr lachte heiser wie ein Seeräuber, tauchte die Haarbürste in den Kessel und schmierte einen langen Soßenstrich über die leere Leinwand.
    Das Gemälde hatte als Porträt von Mrs. Gorr begonnen, zu Mister Gorrs Leidwesen aber bald jede Ähnlichkeit mit ihr verloren. Aden schlug vor, die roten Streifen in ein Liebesherz zu verwandeln, was Mister Gorr ein Freudengeheul entlockte. Er hieb Aden so begeistert auf den Rücken, dass der von seinem Hochsitz auf dem Badewannenrand kippte und mit dem Gesicht voran auf den Boden fiel. Irgendwann streckte Gorr junior – Chucky, wie Mister Gorr Aden verriet – den Kopf durch die Badezimmertür, um zu sehen, was sie machten. Mister Gorr zauberte eine Besteckgabel aus der Tasche und schlenzte sie aus dem Handgelenk in Chuckys Stirn. Chucky erhob ein empörtes Protestgeschrei und rannte davon. Mister Gorr wandte sich Aden zu. »Ein prächtiger Junge, was?«, polterte er, und Aden pflichtete ihm bei.
    Mister Gorr konzentrierte sich auf sein Werk, und Aden unterbrach ihn nicht. Er hatte seine eigenen Probleme zu lösen. Wenn das hier eine Art Traum war, dann musste er sich über seine ungewöhnliche Logik und Dauer schon sehr wundern. Warum sprang er nicht von einer Szene zur nächsten? Von einem Elfenreigen über den Dächern etwa zu einem Boxkampf gegen ein Rennpferd? Vielleicht waren die Träume der Toten länger als die der Lebenden, so lang wie ein ganzes Leben.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, spähte er durch den Nebel in seinem Gehirn. Im nächsten Moment sah er verblüfft, dass die Schwaden zerrissen und den Blick auf seine Vergangenheit freigaben. Da war er, ein Wunderkind, ein begnadeter Musiker, der in kürzester Zeit jedes Instrument beherrschte, das man ihm in die Hand gab. College-Abschluss mit vierzehn. Erste wissenschaftliche Veröffentlichung mit fünfzehn. Während seine Mutter auf eine behutsame Entwicklung seines Talents bedacht gewesen war, hatte ihn sein Vater unerbittlich vorangetrieben,
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