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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion
Autoren: Will Elliott
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Etwas zerrte ihn an den Füßen nach unten. Er spähte durch den Strudel und sah, dass sich eine Gruppe von Lettern um sein Bein gewickelt hatte. Sie ergab den Satz: Etwas zerrte ihn an den Füßen nach unten.
    Keuchend erwachte er ein zweites Mal in der Badewanne. Es war noch dunkel.
    Er schleuderte die versiffte Decke von sich und kratzte sich an den Stellen, wo sie den Anflug eines Ausschlags hinterlassen hatte. Das wäre also geklärt, dachte er, während er sich den Nacken rieb. Er lebte, im herkömmlichen Sinn: Es konnte nicht sein, dass jemand schlief, träumte und anschließend mitten im vorherigen Traum erwachte.
    Sein Spiegelbild war ein Schatten im trüben Licht, vornübergebeugt, keuchend, mit wild zerzausten Haaren. Er spritzte sich Leitungswasser ins Gesicht und trank ein paar Schlucke aus der hohlen Hand. Das Zeug schmeckte abgestanden und metallisch.
    Einen Augenblick wartete er, auf dem Wannenrand sitzend, den Kopf in die Hände gestützt. Die Erinnerungen. Verschwunden. Der Nebel war zurückgekehrt, bis auf jene wenigen scharf umrissenen Szenen, die er bereits kannte. Wie er im Haus seines Großvaters auf dem Boden saß und den Märchen lauschte, die der alte Mann vorlas. Oder ein anderes Erlebnis, das noch weiter zurücklag: Ein Angelausflug mit Opa im Zweimann-Boot; eine Forelle als Ausbeute, viel zu klein, um sie zu braten und zu verspeisen; Moskitostiche; der Schädel eines Kängurus im Flussbett, den er als Andenken mit heim nahm. Die »Wunderkind«-Version seiner Vergangenheit hatte sich verflüchtigt. Er war wieder ein Nichts.
    »Was soll’s, verdammt noch mal!«, schrie er und schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. Irgendwo im Haus ein Schnauben. Dann wieder das Schnarchen, laut und gleichmäßig wie eine Motorsäge, ein so konstantes Hintergrundgeräusch, dass es ihm erst aufgefallen war, als es verstummte. Mister Gorrs Kunstwerk lehnte an der Wand und holte ihn jäh zurück in die Gegenwart. Zwei Küchenschaben hatten die getrocknete Soße des Liebesherzens entdeckt und betätigten sich als Testesser. Ihre Kritik fiel begeistert aus. Aden schnippte sie von der Leinwand. Sie ergriffen hastig die Flucht, bevor er sie zertreten konnte.
    Eine graue Strickjacke lag zuoberst auf dem Stapel schmutziger Kleidungsstücke. Ihr Gestank wurde vom Duft eines fremdartigen Parfums überdeckt. Er zog sie an und schlich durch die Tür, die Diele, die Treppe hinunter. Mond und Sterne verbreiteten einen hellen Schein, der in das Haus sickerte und die Möbel in dunkle Silhouetten verwandelte.
    In der Nähe roch es unverkennbar animalisch. Er hörte ein Schnüffeln, dann ein Kratzen. Klauen raspelten über die Dielenbretter. Etwas bewegte sich. Zunächst glaubte er einen Hund zu sehen, der seine Vorderpfoten auf den Esstisch stützte (jemand hatte ihn wieder aufgestellt und an seinen Platz geschoben). Das Tier schlabberte die auf der Tischdecke verkleckerten Reste von Mister Gorrs Mahlzeit auf. Es war kein Hund. Es hatte ein dunkles Fell mit diffusen Flecken, verkürzte Hinterbeine und eine Hundeschnauze. Eine Hyäne.
    Mondlicht fiel durch das Fenster auf ihre glänzend schwarzen Augen, als sie den Kopf hob und sich Aden zuwandte. Die Ähnlichkeit mit Chucky Gorrs verschwollenem, länglichem Gesicht war so stark, dass sie kein Zufall sein konnte. Das hier war Chucky.
    Die Bestie stieß einen dünnen Knurrton aus – nichts Bedrohliches, eher ein Zeichen, dass sie ihn erkannte. Sie nahm die Pfoten vom Tisch und begann auf dem Boden umherzuschnüffeln, weit mehr an Essensresten interessiert als an Aden. Chucky erledigte nur seine Hausarbeit: Er machte das Esszimmer sauber. Aden fielen die losen Borsten im Flur ein, die er zunächst für einen Teppich gehalten hatte. Einige davon hatten Chuckys Fellfarbe, andere ein dunkleres Braun. Was wurde um diese späte Stunde aus den übrigen Familienmitgliedern? Verwandelten sie ebenfalls ihre Gestalt?
    Er ließ Chucky nicht aus den Augen, als er ans Fenster ging und seine Beine über den Sims schwang. Das Tier kam unter dem Tisch hervorgetappt und starrte ihn mit seinen glänzend schwarzen Augen an. Wieder stieß es ein dünnes Knurren aus.
    »Adios, Chuck«, sagte Aden. »Richte deinem Alten aus, dass ich die Klamotten irgendwann zurückbringe.«
    Die Hyäne schüttelte den Kopf und knurrte. Aden blieb auf dem Fenstersims sitzen. »Was? Ich soll da nicht runterspringen? Ist es das, was du mir sagen willst? Warum nicht?« Chucky schüttelte wieder den Kopf.
    Aden
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