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Intruder 2

Intruder 2

Titel: Intruder 2
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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was er hier sollte. Aber er war nicht zufällig hier.
    Alter lastete wie etwas Unsichtbares, aber auf unleugbare Art Präsentes über der roten Steinwüste. Vielleicht war es eine Erde ferner Vergangenheit, die er sah, vielleicht auch die einer ebenso unvorstellbar fernen Zukunft; vielleicht war es auch eine Zeit neben der Zeit.
    Wir waren immer da, und wir werden immer da sein.
    Plötzlich wusste er, wo er sich befand.
    Als wäre dieser Gedanke der Schlüssel zu einer weiteren, noch verborgeneren Welt gewesen, befand er sich plötzlich nicht mehr über der roten Felsenwüste, sondern im Inneren einer niedrigen, weitläufigen Höhle, die aus dem gleichen rötlich braunen Fels bestand. Es gab keinen Ausgang, aber nicht weit entfernt brannte ein kleines Feuer, sodass er einigermaßen sehen konnte. Im Innern der Höhle war es so kalt, wie es draußen heiß gewesen war, aber auch diese Kälte konnte ihn nicht wirklich verletzten. Wie alles hier war sie Teil einer Welt, in die er nicht gehörte und die so wenig Einfluss auf ihn hatte wie er umgekehrt auf sie. Er war nur Beobachter.
    Aber um was zu sehen?
    Er trat näher an die Wand aus rotem Fels und entdeckte, dass sie mit Zeichnungen übersät war; einfache, stark versinnbildli-chende Malereien, jedoch nicht primitiv. Manche stellten Jagd-szenen dar, Momentaufnahmen aus dem Leben eines Volkes, dessen Tagesablauf von der Suche nach Nahrung und von der Witterung bestimmt war. Es schien auch Szenen religiöser oder kultischer Bedeutung zu geben sowie eine Reihe Malereien ganz eindeutigen, erotischen Inhalts. Er sah keine Kampfsze-nen. Wenn es sich bei dem Volk, das diese Wandmalereien hinterlassen hatte, um Indianer handelte, dann war es kein kriegerischer Stamm gewesen. Hatten die Anasazi keine eigene Kriegerkaste gehabt? Waren sie nur ein Volk von Sammlern und Bauern gewesen, nicht einmal richtige Jäger?
    Mike hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich zum Feuer um. Es brannte jetzt heller, und auf der anderen Seite saß ein uralter Indianer mit hüftlangem grauem Haar und wetterge-gerbtem Gesicht. Er trug ein einfaches, weißes Kleid, dessen einziger Schmuck aus einem kunstvoll bestickten Kragen bestand. Auf dem Boden neben ihm lag etwas, das vielleicht eine Waffe war, vielleicht aber auch lebte.
    »Setz dich, weißer Mann«, sagte er. Seine Lippen bewegten sich nicht, während er sprach, aber Mike wunderte sich nicht einmal darüber. Schließlich befand er sich in einem Traum.
    Er gehorchte. Die alten, stechend klaren Augen des Indianers folgten jeder seiner Bewegungen. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel.
    »Nun stell deine Fragen«, sagte der Alte.
    »Fragen?«
    »Du bist doch hierher gekommen, um Fragen zu stellen. Ver-schwende nicht deine Zeit. Du hast nicht mehr viel davon.«
    »Was meinst du damit?«
    »Du hast den Wendigo herausgefordert«, antwortete der Alte.
    »Das hättest du nicht tun sollen. Er wird dich töten.«
    »Der Wendigo? Was soll das sein? Ich habe niemanden herausgefordert.«
    »Du bist hier«, sagte der Alte, als wäre das Antwort genug.
    »Bitte«, sagte Mike. »Ich weiß, dass das alles hier nur ein Traum ist und dass ich wahrscheinlich keine klaren Antworten erwarten kann. Aber ich kenne ja noch nicht einmal die Fragen, die du von mir erwartest.«
    Zum ersten Mal bewegte sich der Alte. Langsam, mit den umständlich wirkenden, in Wahrheit sehr präzisen Bewegungen eines wirklich alten Mannes hob er den Gegenstand auf, der neben ihm lag. Mike erkannte, dass es sich um nichts anderes als ein paar dürrer Reisigzweige handelte. Winzige weiße Funken stoben aus dem Feuer hoch, als er sie hineinwarf.
    »Ein Traum? Ja, vielleicht. Aber wer sagt dir, dass ein Traum weniger Ding ist als die Dinge, von denen du träumst?«
    Es war nur wenige Stunden her, da hatte etwas so wenig Exi-stentes wie ein Trugbild fast zu seinem Tod geführt. Mike schwieg.
    »Vielleicht ist der Wendigo nur ein Traum«, fuhr der Alte fort, nachdem er eine Weile wortlos ins Feuer gestarrt hatte.
    »Vielleicht träumt er aber auch dich.«
    »Und was ist er?«, fragte Mike.
    »Der Mit Dem Wind Geht«, antwortete der Alte.
    »Aha«, sagte Mike. »Aber das meine ich nicht. Ich meine, was ist er? So eine Art... böser Geist?«
    »Böse?« Der Alte schüttelte den Kopf und warf eine weitere Hand voll Zweige ins Feuer. »Er ist«, sagte er. »Das genügt.
    Manchmal hilft er den Menschen. Manchmal spielt er.«
    »Und im Moment spielt er mit mir.«
    »Du hast ihn
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