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Intensity

Intensity

Titel: Intensity
Autoren: Dean R. Koontz
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sehr empfindlich.«
    Irgendwo in den Weinbergen erklang ein beunruhigendes Geräusch, das Chyna verharren ließ. Ein langgezogenes Knarren.
    »Das ist nur der Wind, der durch ein loses Scheunentor mit rostigen Scharnieren streicht«, sagte Laura.
    Es klang, als würde jemand eine riesige Tür in der Wand der Nacht selbst öffnen und aus einer anderen Welt hereintreten.
    Chyna Shepherd konnte in fremden Häusern nicht gut schlafen. Während ihrer Kindheit und Pubertät hatte ihre Mutter sie von einem Ende des Landes zum anderen geschleppt und war nirgendwo länger als ein bis zwei Monate geblieben. So viele schreckliche Dinge waren ihnen an so vielen Orten zugestoßen, daß Chyna schließlich gelernt hatte, ein neues Haus nicht als neuen Anfang zu sehen, nicht mit Hoffnung auf Stabilität und Glück, sondern mit Argwohn und stillem Schrecken.
    Nun war sie ihre unruhige Mutter endlich los und frei, einfach dort zu bleiben, wo sie bleiben wollte. In diesen Tagen war ihr Leben fast so stabil wie das einer Nonne im Kloster, so kontrolliert wie das Vorgehen eines Spezialisten beim Entschärfen einer Bombe. Es enthielt nichts mehr von dem Chaos, in dem ihre Mutter stets aufgeblüht war.
    Dennoch zögerte Chyna an diesem ersten Abend im Haus der Templetons, sich auszuziehen und zu Bett zu gehen. Sie saß in einem Sessel mit ovalem Relief an der Lehne in der Dunkelheit, an einem der beiden Fenster des Gästezimmers, und schaute auf die vom Mondlicht erhellten Weinberge, Felder und Hügel des Napa Valley hinaus.
    Lauras Zimmer lag am anderen Ende des Korridors im zweiten Stock, und sie schlief zweifellos fest und friedlich, weil dieses Haus ihr keineswegs fremd war.
    Vom Fenster des Gästezimmers aus waren die Rebstöcke kaum sichtbar. Verschwommene geometrische Muster.
    Hinter dem kultivierten Land schwangen sich sanfte Hügel auf, von hohem, trockenem Gras bewachsen, das im Mondlicht silbern schimmerte. Ein unsteter Wind zog durch das Tal, und manchmal schien das wilde Gras wie Meereswogen über die Hänge zu rollen, schwach schimmernd im milden Mondschein.
    Über den Hügeln verlief der Küstengebirgszug, und über dessen Gipfeln waren Kaskaden von Sternen und ein weißer Vollmond zu sehen. Sturmwolken, die aus Nordwesten über die Berge zogen, würden die Nacht bald verdunkeln und die silbernen Hügel zuerst in Zinn und dann in schwärzestes Eisen verwandeln.
    Als Chyna den ersten Schrei hörte, betrachtete sie gerade die Sterne, angezogen von ihrem kalten Licht, wie es bei ihr seit der Kindheit der Fall war, fasziniert von dem Gedanken an ferne Welten, die vielleicht rein und leer, frei von jeder Verschmutzung waren. Zuerst schien der unterdrückte Schrei nur eine Erinnerung zu sein, der Fetzen eines heftigen Streits in einem fremden Haus in der Vergangenheit, der durch die Zeit hallte. Als Kind hatte sie sich oft vor ihrer Mutter und deren Freunden verstecken wollen, wenn sie betrunken oder high waren, und war auf Verandadächer oder auf Bäume im Garten geklettert, durch Fenster auf Feuerleitern hinausgeschlüpft, fort zu geheimen Orten weit weg vom Lärm. Dort hatte sie die Sterne betrachten können, und die im Streit, in sexueller Erregung oder im Drogenrausch erhobenen Stimmen waren zu ihr vorgedrungen wie aus einem Radio, Stimmen von fernen Orten und Menschen, die nicht die geringste Verbindung mit ihrem Leben hatten.
    Der zweite Schrei war zwar ebenfalls kurz und nur etwas lauter als der erste, aber unbestreitbar real, keine Erinnerung, und Chyna beugte sich im Sessel vor. Angespannt. Den Kopf zur Seite gelegt. Lauschend.
    Sie wollte glauben, daß die Stimme von draußen gekommen war, und so starrte sie weiterhin in die Nacht hinaus, suchte die Weinberge und die Hügel dahinter mit Blicken ab. Vom Wind getriebene Wogen wallten durch das trockene Gras auf den ins Mondlicht getauchten Hängen: eine Fata Morgana der Gezeiten eines uralten Meeres.
    Irgendwo in dem großen Haus polterte es leise, als sei ein schwerer Gegenstand auf den Teppich gefallen.
    Chyna erhob sich augenblicklich aus dem Sessel und stand ganz still und aufmerksam da.
    Auf Gezänk oder anderen Trubel folgte oft Ärger. Den schlimmsten Katastrophen ging jedoch oft eine bösartige, strategische Stille voraus.
    Es fiel ihr schwer, sich bei Paul und Sarah Templeton, die miteinander genauso liebevoll umgegangen waren wie mit ihrer Tochter, häusliche Gewalt vorzustellen. Dennoch: Anschein und Wirklichkeit fielen nur selten in eins, und das
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