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Intensity

Intensity

Titel: Intensity
Autoren: Dean R. Koontz
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dem schnell versinkenden Mercedes zurückgefahren. Er und Anne waren aus dem Wagen gestiegen und hatten zugesehen. Chynas Mutter hatte darauf bestanden, daß sie ebenfalls zusah: Komm schon, du Küken. Das darfst du nicht verpassen, Baby. Daran wirst du dich noch lange erinnern. Die Beifahrerseite des Mercedes hatte flach auf dem verschlammten Grund des Kanals gelegen, doch sie hatten vom Straßendamm aus die Fahrerseite sehen können, als sie in der feuchten Abendluft dort standen. Horden von Moskitos hatten auf sie eingestochen, was sie aber kaum wahrgenommen hatten, so faszinierend war der Anblick unter ihnen gewesen, der Blick durch die Fenster auf der Fahrerseite des eingetauchten Fahrzeugs.
    »Die Dämmerung war schon ziemlich weit fortgeschritten«, sagte Chyna zu Laura und faßte die Bilder hinter ihren geschlossenen Augen in Worte, »und die Scheinwerfer waren eingeschaltet, auch noch, nachdem der Mercedes versunken war, und in dem Wagen brannte Licht. Sie hatten eine Klimaanlage, also waren alle Fenster geschlossen, und weder die Windschutzscheibe noch das Fenster auf der Fahrerseite waren zerbrochen, als der Wagen in den Kanal rollte. Wir konnten hineinsehen, weil die Fenster nur zehn, zwanzig Zentimeter unter Wasser waren. Von dem Mann war nichts zu sehen. Vielleicht war er bewußtlos geworden, als sie umgekippt waren. Aber die alte Frau … ihr Gesicht war am Fenster. Der Wagen war überflutet, aber an der Scheibe befand sich noch eine große Luftblase, und sie drückte das Gesicht hinein, damit sie atmen konnte. Wir standen da und schauten zu ihr hinab. Woltz hätte ihr helfen können. Meine Mutter hätte ihr helfen können. Aber sie sahen nur zu. Die alte Frau bekam offenbar das Fenster nicht auf, und die Tür mußte sich verklemmt haben, oder vielleicht war die Frau einfach nur in Panik und zu schwach.«
    Chyna hatte versucht, sich davonzustehlen, doch ihre Mutter hatte sie festgehalten und auf sie eingeredet; die geflüsterten Worte waren von einem sauren Atemschwall getragen worden, sauer durch Wodka und Grapefruitsaft. Wir sind anders als die anderen Leute, Baby. Für uns gelten keine Regeln. Wenn du jetzt nicht zusiehst, wirst du nie verstehen, was Freiheit wirklich heißt. Chyna hatte die Augen geschlossen, hatte jedoch noch immer die Schreie der alten Frau in der großen Luftblase im versunkenen Wagen gehört. Gedämpfte Schreie.
    »Dann wurden die Schreie allmählich schwächer … und hörten schließlich auf«, fuhr Chyna fort. »Als ich die Augen öffnete, war die Dämmerung der Nacht gewichen. In dem Mercedes brannte noch immer Licht, und der Kopf der Frau war noch gegen das Glas gedrückt, aber eine Abendbrise kräuselte das Wasser im Kanal, und ihr Gesicht war ein verschwommener Fleck. Ich wußte, daß sie tot war. Sie und ihr Mann. Ich fing an zu weinen. Woltz gefiel das nicht. Er drohte, mich in den Kanal zu werfen, eine Tür des Mercedes zu öffnen und mich zu den Toten hineinzuschieben. Meine Mutter zwang mich, etwas Grapefruitsaft mit Wodka zu trinken. Ich war erst sieben. Für den Rest des Wegs nach Key West lag ich auf dem Rücksitz, benommen und ein bißchen betrunken vom Wodka; mir war schlecht, und ich weinte noch immer, aber leise, um Woltz nicht wütend zu machen. Ich weinte leise, bis ich einschlief.«
    Die einzigen Laute in Lauras Mustang waren das leise Rumpeln des Motors und das Singen der Reifen auf dem Asphalt.
    Chyna öffnete schließlich die Augen und kehrte aus der Erinnerung an Florida, aus der längst vergangenen feuchten Dämmerung ins Napa Valley zurück, wo das rote Licht größtenteils verschwunden war und die Dunkelheit von allen Seiten den Himmel hinaufkroch.
    Der alte Mann in dem Buick war nicht mehr vor ihnen. Sie fuhren nicht mehr so schnell wie zuvor, und offensichtlich hatte er sie weit hinter sich gelassen.
    »Großer Gott«, sagte Laura leise.
    Chyna zitterte unbeherrscht. Sie pflückte ein paar Kleenex aus dem Karton zwischen den Sitzen, putzte sich die Nase und trocknete ihre Augen. In den letzten beiden Jahren hatte sie Laura einige Begebenheiten aus ihrer Kindheit erzählt, aber jede neue Enthüllung – und es gab noch viel zu enthüllen – war so schwierig wie die zuvor. Wenn sie von der Vergangenheit sprach, errötete sie immer vor Scham, als sei sie genauso schuldig wie ihre Mutter, als könne man ihr jede kriminelle Handlung und jeden Irrsinn anlasten, obwohl sie nur ein hilfloses Kind gewesen war, das im Wahn anderer gefangen war.
    »Wirst du
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