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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd
Autoren: Martha Grimes
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Zigeunerrock, an dem ein vier oder fünf Jahre altes Mädchen hing. Spät für die Kleine, dachte Jury; Emily Louise fiel ihm ein. Die Mutter schien die Phalanx von Männern nicht zu bemerken und ging einfach durch sie durch.
    Jury hätte nie geglaubt, daß jemand so schnell sein könnte: Peter Gere hatte das kleine Mädchen an sich gerissen und sich rückwärts mit ihr entfernt. Das ungläubige Staunen auf dem Gesicht der Mutter verwandelte sich in Entsetzen.
    Automatisch griff Tyrrwhit nach seiner Pistole, erkannte aber, daß sie ihm nichts nützen würde, solange Gere das Kind wie einen Schild vor sich hielt. Stumm verharrte er auf seinem Platz und starrte ihm nach. Keiner war nahe genug, um Gere zu packen, bevor er sich über die Fußgängerbrücke davonmachen konnte. Jury rannte ihm nach und erreichte die Brücke, als die Türen des Zugs zugingen und die Wagen sich in Bewegung setzten. Er brüllte Peter Gere durch den Lärm und den Luftwirbel zu, er solle das Mädchen loslassen, das Ganze wäre sinnlos, auf der andern Seite warte schon Polizei auf ihn. Er versuchte, das Mädchen am Rock zu packen.
    Verzweifelt blickte Gere in beide Richtungen – zurück zu Jury und nach vorn zum Ausgang; dann stieß er das Mädchen von sich. Jury packte es, als Gere durch das behelfsmäßig reparierte Geländer des Stegs brach, anscheinend in der Hoffnung, auf dem Dach des Zuges zu entkommen.
    Geres Hände suchten verzweifelt nach einem Halt, den es nicht mehr gab. Er verpaßte den letzten Wagen um ein paar Zentimeter und fiel auf die Schienen.
    Das kleine Mädchen gegen seine Schulter drückend, blickte Jury hinunter und war froh, daß William F. B. Potts nicht erwähnt hatte, wie hoch die Spannung auf der Leitschiene war.

25
    Als Jury schliesslich um zwei Uhr morgens zurückkehrte, fand er Melrose Plant mit einem französischen Gedichtband auf den Knien in einem der Sessel vor; neben ihm standen ein überquellender Aschenbecher und eine Flasche Remy.
    «Mainwaring hat eine Nachricht hinterlassen. Er möchte unbedingt mit Ihnen sprechen, wann immer Sie zurückkommen.»
    Erschöpft ließ sich Jury nieder. «Kann ich einen Schluck davon haben?»
    Melrose schob ihm die Flasche hinüber. Dann erzählte er ihm von Emily Louise.
    «Oh, mein Gott», sagte Jury. Er schwieg einen Augenblick. «Und wie geht es Mary O’Brien?»
    «Dr. Riddley hat ihr ein paar Beruhigungstabletten gegeben, und das hat wohl auch was genützt, zumindest konnte er sie überreden, sich ins Bett zu legen. Ich wollte mich gerade zurückziehen, als sie mit einem schrecklich leeren Blick im Nachthemd die Treppe herunterkam. Sie trug eine Öllampe und wanderte langsam damit im Raum umher; an jedem Fenster blieb sie stehen, hielt sie hoch und schaute hinaus, als erwarte sie noch einen späten Gast … Richtig unheimlich war das.» Er zündete sich eine Zigarre an. «Ich glaube, ich weiß jetzt, was es bedeuten soll, wenn man sagt, jemand sei nur noch ein Schatten seiner selbst. Wirklich, ich hatte das Gefühl, durch sie hindurchgreifen zu können.» Er schwieg einen Augenblick und fügte dann hinzu: «An den Tod kann man sich wohl nicht gewöhnen. Ich bin froh, daß ich Katie nie gesehen habe …» Er warf seinem Freund einen kurzen Blick zu, als befürchtete er, Jury könne ihm von ihr erzählen. Jury sagte nichts, und Melrose fuhr fort: «Als Riddley mir das von Peter Gere erzählte, war ich völlig fassungslos.»
    «Und woher wußte es Dr. Riddley?»
    «Dieser Musiklehrer von Katie – wie heißt er noch?»
    «Cyril Macenery.»
    «Er hat Riddley angerufen. Anscheinend brauchte der arme Kerl jemanden, mit dem er sprechen konnte, jemanden, der Katie kannte. Hat ihn wohl ziemlich mitgenommen.»
    Jury zog das Collier aus der Tasche und ließ es auf den Tisch fallen; es war noch immer in das Taschentuch gewickelt. «Wie viele wegen diesem kleinen Häufchen ihr Leben lassen mußten!» Deprimiert zuckte er die Achseln. «Sie können es ruhig in die Hand nehmen, es wird nicht mehr als Beweismaterial benö tigt.»
    Melrose pfiff durch die Zähne. «Wunderschön. Werden Sie es Lady Kennington zurückgeben?» Jury nickte. Melrose drehte den Stein zwischen Zeigefinger und Daumen hin und her und fuhr mit dem Daumen über die Gravur. «Peter Gere war also Trees Komplize?»
    «Ich kam darauf, als ich mir die Durchsuchung der Leute, des Gebäudes und so fort vergegenwärtigte. Es war einfach das Naheliegendste. Peter Gere war natürlich sofort zur Stelle – als erster wird
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