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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd
Autoren: Martha Grimes
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sechs an ihrem Arbeitsplatz sein müssen oder sonst was vorhaben.»
    «Trotzdem», meinte Graham, «wenn dieses Collier wirklich die ganze Zeit über dort gelegen hat –» er zeigte auf die Stelle unter dem Evita-Plakat – «warum sollte er sich dann plötzlich so beeilen?»
    «Weil unser Freund weiß, daß ihm nicht viel Zeit bleibt, darum. Es muß ziemlich ungemütlich für ihn geworden sein, nachdem Katie O’Brien den Plan entdeckt hat. Zwei Tote und eine im Koma. Sie glauben doch nicht, daß diese Person so lange wartet, bis wir dieses Collier gefunden haben?»
    «Dann hat er genau noch eine Stunde und dreiunddreißig Minuten, bis die Station schließt.» Kriminalinspektor Graham verstummte, als er die hallenden Schritte hörte und jemand um die Ecke bog.
    Es war Cyril Macenery, der seinen Geigenkasten unterm Arm trug. Er hatte den Blick gesenkt, als suche er nach etwas.
    Jury stellte ihn der versammelten Mannschaft vor. «Unser Straßenmusikant», sagte er. «Wir haben alles räumen lassen – nicht, daß es soviel zu räumen gab –, und die einzigen Anwesenden hier sind Sie –» er ließ den Blick über die Gruppe schweifen – «und Cyril, Katies Lehrer. Alles soll ganz normal aussehen, und besonders unverdächtig ist für unsern Freund, wenn einer hier unten Musik macht. Meiner Meinung nach», fügte Jury grimmig hinzu, «ist das nur ausgleichende Gerechtigkeit.» Er schaute zu Cyril Macenery hinüber, der nichts darauf erwiderte. Er hatte sich nach vielem Hin und Her bereit erklärt, als Straßenmusikant aufzutreten. Als Jury es ihm im Krankenhaus vorgeschlagen hatte, waren seine Antworten zuerst sehr einsilbig ausgefallen.
    Sergeant Tyrrwhit, der in Ledermantel, Hawaiihemd und Jeans an der Wand lehnte, sagte: «Zwei von uns haben sich also auf dem Bahnsteig postiert, einer im Tunnel und einer auf der Rolltreppe. Und dann Sie. Sind Sie sicher, daß dieser Kerl das Versteck kennt?»
    «Ziemlich sicher», sagte Jury.
    «Ziemlich sicher», wiederholte Tyrrwhit und klebte seinen Kaugummi hinter das Evita-Plakat.
    Jury mochte Tyrrwhit. Er war zwar nur Hilfsdetektiv, aber innerhalb eines Jahres würde er bestimmt zu Grahams Rang aufgestiegen sein. Sein Sarkasmus, dachte Jury, paßt zu seiner Rolle und seiner Aufmachung.
    «Ein besseres habe ich nicht», sagte Jury und reichte das Foto herum, das er mitgebracht hatte. «Das ist der Mann, auf den wir warten.»
    Nachdem alle das Foto angeschaut hatten, gab es ihm Graham wieder zurück. «Peinlich, peinlich, eher hätte ich meine Großmutter verdächtigt.»
    «Seien Sie froh, daß sie es nicht ist. Sonst wären Sie vielleicht mal ohne Finger aufgewacht.»
    Sie waren um die Ecke gegangen und hatten sich so aufgestellt, daß man sie von dem Gitter aus nicht sehen konnte. Macenery hatte sich die Violine – es war Katies – unter das Kinn geschoben. Er zupfte an einer Saite, starrte auf die Wand und sagte: «Sie ist tot.»
    Sie hatten gerade darüber gesprochen, was Macenery spielen sollte, um den Männern auf dem Bahnsteig zu signalisieren, daß die Person, nach der sie schauten, aufgetaucht war. Jury, der sich schon umgewandt hatte, um den Gang zurückzugehen, glaubte nicht richtig gehört zu haben. «Was?»
    «Sie ist tot. Katie. Sie ist gestorben, kurz nachdem Sie gegangen sind.»
    Jury schluckte. «Ich kann es nicht glauben.»
    Macenery zupfte wieder eine Saite. «Ich auch nicht.»
    Er versuchte, sich auf seine Musik zu konzentrieren; Jury starrte einen Augenblick ins Leere und ging dann den Gang entlang.
     
    Jury und Wiggins setzten sich in eine dunkle Ecke am andern Ende des Bahnsteigs.
    «Das kann doch nicht wahr sein», sagte Wiggins so bekümmert, wie Jury ihn selten erlebt hatte.
    «Leider doch.» Jury zog seine Zigaretten heraus.
    Wiggins schwieg eine Weile, dann sagte er: «Haben Sie keine Angst, daß Macenery ausrastet, wenn er ihn sieht?»
    «Nein. Daß er hierherkam und diese Sache durchzieht, spricht eindeutig dagegen. Er hat Disziplin, deshalb ist er auch so gut.»
     
    Die beiden Fahrgäste, die aus dem nächsten Zug stiegen, schienen ebenfalls dieser Meinung zu sein. Sie blieben stehen und lauschten, bevor sie den Steg hinaufgingen und durch den Ausgang auf der andern Seite der Station verschwanden.
    Und so verbrachten sie die nächste halbe Stunde. Jury rauchte eine Zigarette nach der andern und starrte auf den grauen Betonboden des Bahnsteigs; Graham und Tyrrwhit gingen auf und ab; die andern standen weiter hinten im Gang oder auf der Treppe.
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