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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen
Autoren: Martha Grimes
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Ihre Beziehung?»
    «Hm. Intim oder zumindest sexuell. Wahrscheinlich gibt es da ja einen Unterschied.»
    Jury war ein wenig erstaunt, daß er diesen Unterschied machte. Marr wirkte ziemlich menschlich, wenn er nicht gerade diese kühle Arroganz in Blick und Stimme hatte. «Dann war die ‹Verlobung› eine Erfindung von ihr ?» Marr nickte. «Sie versuchte, sich das selber einzureden?»
    «Es mir einzureden, trifft wohl eher zu.» Er schloß die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. «Einige Male hat sie sicher übers Heiraten geredet. Zum Beispiel letzte Nacht.»
    «Und was haben Sie gesagt?»
    «Ich habe nicht darauf geantwortet. Haben Sie noch ’ne Zigarette, Superintendent?»
    Jury reichte ihm die Schachtel und lehnte sich zurück. «Sind Sie sich ganz sicher, daß Sie sie nicht durch Ihr Verhalten ermutigt haben?»
    Marr ließ sich vorsichtig in den Sessel sinken, schlug die langen Beine übereinander und schüttelte verwundert den Kopf. «Um Himmels willen. Ein paar gemeinsam verbrachte Nächte in mehreren Monaten würde wohl nur die naivsten Frauen zu so was ermuntern, oder? Ich habe zwar nicht ausdrücklich gesagt, nein, wir werden nicht heiraten, aber ich glaube, ein gewisses Zögern war schon unverkennbar …»
    «Sie sind also gegangen, als das Pub zumachte?»
    «Um Viertel oder zehn vor elf ungefähr. Als die letzten Bestellungen gemacht wurden.»
    «Ist Ivy noch geblieben oder ist sie auch gegangen?»
    «Als ich sie zuletzt sah, stand sie mit den Händen in den Hüften und hochgeschlagenem Mantelkragen im Eingang und wirkte fest entschlossen.» Er seufzte und rieb sich wieder den Kopf. «Hätte den Remy wohl nicht mehr trinken sollen. Sie forderte mich mehr oder weniger auf, mich zu verziehen, und das hab ich dann auch getan. Das ist das letzte, was ich von ihr gesehen habe, Superintendent.»
    «Das Running Footman müßte also kurz danach geschlossen haben. Und sie hätte normalerweise ein Taxi zu ihrer Wohnung nach Bayswater genommen, nicht wahr?»
    Marr lächelte kläglich. «Wie ich Ivy kenne, hat sie vielleicht auch die U-Bahn genommen. Ist billiger.»
    «Und Sie sind direkt nach Hause gegangen?»
    Marr seufzte. «Ja, natürlich. Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß. Nachdem ich zu Hause war, rief ich meine Schwester Marion an. Hab ’ne Weile auf sie eingeredet, aber ohne Erfolg. Ich brauchte Geld.»
    «Sie sagten, Geld wäre eines der Themen gewesen, über die Sie sich mit Ivy Childess gestritten hätten.»
    «Stimmt. Ich wollte Geld von ihr pumpen.»
    «Aber Ivy Childess besaß doch sicher nicht solche Summen, wie Sie sie brauchen.»
    Marr lachte. «Wenn das Gesicht Ihrer Majestät drauf ist, kann ich alles gebrauchen. Dann und wann für ’ne Schneiderrechnung. Einige Spielschulden. Ivy wollte einfach nicht ran an die Leibrente ihres Onkels. Sie meinte, ich soll mir eine gutbezahlte Stelle suchen. Das genau waren ihre Worte, eine gutbezahlte Stelle. Ich hatte nie eine Stelle. Und schon gar nicht eine gutbezahlte. Arbeiten – du lieber Gott.»
    «Ja, das sind ja wirklich trübe Aussichten.»
    «Den gleichen Sinn für Ironie wie meine Schwester. Sie sagt immer, ich brächte meinen Erbanteil in einem Tempo durch, mit dem ich einen Platz in der Rudermannschaft von Oxford verdient hätte. Unsere Anwälte rücken nur ungern mehr heraus als das, wovon ich gerade meinen Schnaps bezahlen kann.» Es erinnerte ihn wieder an den mit Flaschen vollgestellten Tisch, auf dem er noch ein, zwei Gläschen Whisky fand und ihn sich einschenkte.
    Jury machte sich eine weitere Notiz in ein abgenutztes, schweinsledergebundenes Notizbuch, das ihm Racer vor einigen Jahren in einer seiner seltenen Anwandlungen von Großzügigkeit zu Weihnachten geschenkt hatte. Vielleicht war es auch gar nicht Großzügigkeit, sondern nur ein Wink mit dem Zaunpfahl. «Sie sagten, Sie haben Ihre Schwester angerufen. Können Sie mir bitte ihre Nummer geben?»
    «Sie wollen doch nicht etwa die gute Marion damit behelligen? Ach, ist schon gut.» Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, seufzte und nannte Jury die Nummer. «Es ist eine Geheimnummer, also verlieren Sie sie nicht.» Sein Lächeln blitzte auf und verschwand in Sekundenschnelle. «Sie wird nicht gerade begeistert sein, mein Alibi zu bestätigen – falls Sie das so nennen.»
    «Sie sagten, nachdem Sie zu Hause waren? Wann genau nach Ihrer Ankunft?»
    «Nachdem ich den Rest davon intus hatte, nehm ich an.» Er hielt das Glas in die Höhe und drehte es, so daß eine kleine
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