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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen
Autoren: Martha Grimes
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leichtsinnig gewesen, in den Little Chef zu gehen, statt einfach im Wagen zu warten. Den hatte er, statt seinen eigenen zu nehmen, zusammen mit den Nummernschildern gekauft. Jetzt, wo der Wagen in die trüben Lichtpfützen entgegenkommender Scheinwerfer hinein- und dann wieder herausschwamm, erinnerte er sich erneut daran, daß es für niemanden den geringsten Grund gab, ihn mit dem Mädchen in Verbindung zu bringen.
    Sie fuhren dahin, und sie sagte weder ein Wort, noch wandte sie den Blick von der Windschutzscheibe. Als er bemerkte, daß er nie Marihuana geraucht habe, schnaubte sie verächtlich und erwiderte, er lebe wohl hinterm Mond. Vielleicht könne sie ihm ja einen Joint drehen, schlug er vor. Er würde ihr gerne was dafür zahlen, nur um mal die Erfahrung zu machen. Sie zuckte die Achseln, sagte okay und daß es ihr egal sei, solange er nur zahle. Es sei guter Stoff, vom Besten. Nein, es sei ihr scheißegal, wenn er nur zum Rauchen von der Straße runterfahre und anhielte. Wie der chinesische Kellner war sie viel zu gelangweilt, um irgend etwas in Frage zu stellen. Sogar zu gelangweilt, um mißtrauisch zu werden.
    Er fuhr von der Straße hinunter in ein Gehölz. Er würde Reifenspuren hinterlassen. Er wußte, daß man von Reifenspuren Abgüsse machen konnte, einer der Gründe, warum er den alten Ford gekauft hatte. Während er die Zigarette rauchte, die sie ihm gegeben hatte, dachte er: Da ist es wieder – die extreme Vorsicht, der extreme Leichtsinn –, der rationale Teil seines Verstandes wurde von irgendeiner anderen Macht ausgeschaltet. Die Möglichkeit, daß ihn irgend jemand im Café nach einer gewissen Zeit noch wiedererkannte, war gering, und die, daß es einen Grund für dieses Wiedererkennen geben könnte, noch geringer. Und doch überlegte er: War da vielleicht irgendein innerer Zwang gewesen, der ihn veranlaßte, eine Verbindung zu ihr herzustellen? Im selben Raum zu sitzen, die gleichen Dinge zu essen, durch dieselben Straßen zu gehen? Er wußte es nicht.
    Sie fragte ihn nicht einmal, warum er ausstieg, saß einfach nur da und rauchte und hörte Radio. Durch die offene Wagentür konnte er die verkratzte Aufnahme des alten Songs hören:
     
    Isn’t it romantic
    Merely to be young, on such a night as this?
     
    Er entfernte sich noch ein Stückchen weiter vom Wagen. Der Regen hatte aufgehört, der Himmel sich aufgeklart. Durch das schwarze Gitterwerk der Zweige konnte er in weitem Abstand voneinander ein paar Sterne erkennen. In der Nähe floß ein kleiner eisüberkrusteter, schneegesäumter Bach.
    Als er die Tür auf ihrer Seite aufgehen hörte, war er nicht überrascht. Da sie in ihrer Gleichgültigkeit bisher keinen Verdacht geschöpft hatte, weder als er anhielt, noch, als er den Wagen verließ, war es auch nicht verwunderlich, daß sie nun ebenfalls ausstieg. Nicht daß es einen großen Unterschied gemacht hätte, ob sie ausstieg oder nicht. Ihre Stiefel quatschten auf dem feuchten Boden, als sie neben ihn trat. «Isn’t it romantic?» spielte immer noch, schickte unablässig dieselbe Frage in die Nacht. Sie erkundigte sich, ob ihm das Gras schmecke, und er antwortete: Ja, doch, bloß sei er ziemlich benebelt. Er gab ihr ein paar Scheine, die sie wortlos nahm und in die obere Tasche ihres Anoraks stopfte. Sie trug eine Wollmütze, und um den Hals hatte sie einen karierten Schal geschlungen, dessen Enden ihr über den Rücken fielen. Sie war auf eine billige, herbe Weise hübsch und auf ihre Art so kalt wie der kleine verkrustete Bach.
    Als er zum Himmel hinaufsah, fühlte er sich benommen. Da sei eine Sternschnuppe, sagte er, dort im Westen. Er sei ja verdammt high, erwiderte sie, und sie stritten sich wegen der Sternschnuppe. Es sei aber wirklich eine dagewesen, behauptete er.
    Die fernen Konstellationen, die toten Sterne, das gleichgültige Mädchen.
     
    Isn’t it romantic,
    Music in the night …?
     
    Als er nach ihrem Schal griff, dachte sie wahrscheinlich, er wolle sie an sich ziehen und sie küssen. Er zog rasch und heftig. Beinahe lautlos sackte sie zusammen, stürzte hin und schlug auf die dünne Eiskruste, so daß diese zerbrach. Näher würden sie sich selbst bei einem Stelldichein nicht kommen, dachte er, und die Enden ihres Schals baumelten von seinen Händen herab. War es nicht romantisch?
     
     
    I N D ER T ROSTLOSEN E NKLAVE des Schweigens standen ein Dutzend Angehörige der Gendarmerie Devon-Cornwall wie Trauernde neben der Leiche. Es begann schon zu dämmern, aber die
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