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Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Titel: Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Autoren: Ian Rankin
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    seine Erklärung, dass er jegliches Gefühl von Berufung verloren hatte, jeglichen Optimismus bezüglich seiner Rolle - ja seiner Identität - als Polizist. Das Bekenntnis, dass diese Gedanken ihn ängstigten, ihm entweder den Schlaf raubten oder ihn mit Albträumen quälten. Dass ihn Gespenster neuerdings sogar tagsüber heimsuchten.
    Dass er kein Bulle mehr sein wollte. Jim Margolies hatte alles gehabt.
    Zehn Jahre jünger als Rebus, war er für eine vorzeitige Beförderung vorgemerkt worden. Man hatte nur noch darauf gewartet, dass er die letzten paar Bewährungsproben bestand, woraufhin er den Rang eines Detective Inspector wie eine letzte Haut abgestreift hätte. Intelligent, sympathisch, ein umsichtiger Stratege, der auch die Innenpolitik nie aus dem Auge verlor. Dazu noch gut aussehend und durchtrainiert; hatte Rugby für seine alte Schule, Boroughmuir, gespielt. Er stammte aus einer guten Familie und hatte Beziehungen zur Edinburgher Gesellschaft; seine Frau bezaubernd und elegant, seine kleine Tochter eine wahre Schönheit. Bei den Kollegen beliebt und mit einem beneidenswerten Prozentsatz von Verurteilungen. Die Familie führte ein ruhiges Leben im Grange, besuchte eine der örtlichen Kirchen, wirkte in jeglicher Hinsicht wie eine vollkommene kleine Gemeinschaft.
    Der Farmer setzte seinen Kommentar mit kaum hörbarer Stimme fort. Er hatte auf der Auffahrt zur Kirche angefangen, während des Gottesdienstes weitergeredet und schloss jetzt mit einer Zusammenfassung am Grab.
    »Er hatte alles, John. Und dann geht er los und macht so was. Was bringt einen Mann dazu... Ich meine, was geht in seinem Kopf vor? Das war jemand, zu dem sogar ältere Beamte aufblickten - ich meine die zynischen alten Arschlöcher, die zwei Schritte vor der Pensionierung stehen. Sie haben schon alles im Leben gesehen, aber jemanden wie Jim Margolies hatten sie noch nie erlebt.«
    Rebus und der Farmer - die Repräsentanten ihres Reviers - standen ziemlich am äußeren Rand der Trauergemeinde. Und es war eine ansehnliche Menge. Haufenweise hohe Tiere neben Rugbyspielern, einfachen Gemeindemitgliedern und Nachbarn. Dazu Angehörige und Verwandte. Und am offenen Grab die schwarz gekleidete Witwe, die es trotz allem fertig brachte, gefasst zu wirken. Sie hatte ihre Tochter auf den Arm genommen. Die Tochter in einem weißen Spitzenkleid, das Haar dicht und lang und blondlockig, das Gesicht leuchtend, als sie dem Holzsarg zum Abschied winkte. Mit den blonden Haaren und dem weißen Kleid sah sie wie ein Engel aus. Was vielleicht beabsichtigt gewesen war. Auf jeden Fall stach sie aus der Menge hervor.
    Margolies' Eltern waren ebenfalls da. Der Vater sah aus wie ein Offizier a. D., stocksteif wie eine Standuhr, umklammerte aber mit zitternden Händen den Silberknauf eines Spazierstocks. Die Mutter mit tränennassen Augen, zerbrechlich, mit einem Schleier bis zum Mund. Sie hatte ihre beiden Kinder verloren. Nach Aussage des Farmers hatte sich Jims Schwester ebenfalls, schon Vorjahren, das Leben genommen. Von jeher psychisch labil, hatte sie sich irgendwann die Pulsadern aufgeschnitten. Rebus schaute wieder die Eltern an. Er musste an seine eigene Tochter denken, fragte sich, wie viele Wunden sie davongetragen haben mochte - an Stellen, die man nicht sah.
    Weitere Familienmitglieder drängten sich um die Eltern - ob Trost suchend oder Trost spendend, konnte Rebus nicht erkennen.
    »Schöne Familie«, flüsterte der Farmer. Rebus witterte fast einen Anflug von Neid. »Hannah hat bei mehreren Wettbewerben gewonnen.«
    Hannah, die Tochter, war acht, wie Rebus erfuhr. Sie besaß die blauen Augen ihres Vaters und eine makellose Haut. Die Witwe hieß
    Katherine.
    »Lieber Gott, diese Vergeudung.«
    Rebus dachte an die Fotografien des Farmers, daran, wie Individuen sich begegneten und miteinander Verbindungen eingingen, ein Muster bildeten, das nach und nach andere mit einbezog, wobei Farben ineinander flössen oder sich scharf voneinander abhoben. Man freundete sich an, heiratete in eine neue Familie ein, bekam Kinder, die dann mit den Kindern anderer Eltern spielten. Man ging arbeiten, lernte Kollegen kennen, die mit der Zeit zu Freunden wurden. Stück für Stück wurde die eigene Identität aufgehoben, bis man kein Individuum mehr war -und dennoch gerade dadurch irgendwie stärker wurde.
    Bloß, dass es nicht immer so lief. Es konnten Konflikte entstehen; vielleicht durch die Arbeit oder die allmähliche Erkenntnis, dass man irgendwann in der
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