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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen
Autoren: Martha Grimes
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Hörer. «Die hier haben Löcher», sagte sie und streckte ihm die Hände hin, über die sie zwei Socken gezogen hatte.
    «Was zum Teufel hat er gesagt?»
    Sie hatte sich jetzt erhoben und übte sich in einer Art Schlangenbewegung. «Er? Ach, der wollte Ihnen bloß einen schönen Urlaub wünschen. Ist er ein bißchen abartig oder so? Bringen ihn Beerdigungen immer zum Lachen? He, glauben Sie, ich könnte das bringen?»
    «Äh? Was denn?»
    «Bauchtanzen. Ich meine, richtig. Dafür muß man, glaube ich, eine Menge üben.»
    «Carole-anne, Sie könnten Premierministerin werden, wenn Sie wollten.»
    Sie hörte auf, ihren Körper zu verdrehen, und stand mit ausgestreckten Armen und gespreizten Beinen da, prächtig anzusehen wie ein Clown, die Hände immer noch in Jurys Socken. Sie dachte nach. «Ich weiß nicht recht. Maggies Kostüme sind so spießig.» Dann kam sie zu Jury gelaufen, fiel ihm um den Hals, drückte ihm einen dicken Schmatz auf und war draußen.
    Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, ihm zu sagen, daß er ihr fehlen würde.
    Genausowenig wie es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, daß sie aus keinem anderen Grund Premierministerin werden könnte, als wegen der spießigen Kostüme.
     
     
    Er hatte in der Wohnung im Souterrain vorbeischauen wollen, aber niemand war zu Hause. Er stieg die Steinstufen wieder hoch und ging zu seinem Auto, als er Mrs. Wassermann mit ihrer Einkaufstasche herangezockelt kommen sah. Über den Rand der Tasche lugten Stangensellerie und ein Salatkopf.
    «Der verlangt vielleicht Preise, Mr. Jury.» Neuerdings hatte der Gemüsehändler in der Upper Street wiederholt ihren Unmut auf sich gezogen. «Oh, vielen Dank auch.»
    Jury hatte ihr die Tasche abgenommen und sie die Treppe hinunterbegleitet. «Ich weiß, Sie müssen los, aber warten Sie einen Augenblick, ich hab noch was für Sie.» Sie verschwand in der Wohnung und tauchte mit einem Picknickkorb wieder auf. «Ihr Mittagessen. Ich weiß doch, wie Männer sind, sie machen einfach keine Pause. Immer diese Ungeduld.»
    «Na ja, vielen Dank auch, Mrs. Wassermann.» Sie machte ihm immer etwas zurecht, wenn sie herausfand, daß ihn sein Weg über Victoria Station hinausführte. Letztes Jahr war es Brighton gewesen, das hatte zwei Sandwiches erfordert. Dieses Jahr fuhr er viel weiter und blieb viel länger. Das bedeutete ein Festmahl. Ein halbes kaltes Hähnchen, Salat, Torte, zwei Flaschen Carlsberg. Er lächelte. «Das reicht für den ganzen Urlaub.»
    «Das will ich auch hoffen.» Aus ihrem Tonfall war deutlich zu hören, daß Jury da draußen im Busch bei fremden Menschen gewiß nicht eine anständige Mahlzeit bekommen würde. «Es ist viel netter, wenn Sie hier sind. Aber Carole-anne leistet mir Gesellschaft. Das ist mir mal ein liebes Mädchen. Sie guckt fast jeden Abend vorbei und legt mir die Karten. Und Ihnen auch.» Sie zog die Nadel aus ihrem schwarzen Hütchen und ihrem grauen Haarknoten.
    «Mir? Wie kann sie mir die Karten legen, wenn ich nicht hier bin?» Er konnte es kaum abwarten wegzukommen.
    «Aber Sie wissen doch, daß sie hellsehen kann. Hat einen siebten Sinn, sagt sie jedenfalls.»
    Nicht einmal sechs genügten für Carole-anne. Seit sie bei Andrew Starr arbeitete, schien sie zu glauben, einfach abheben zu können. «Wie sieht sie denn aus, meine Zukunft, meine ich?»
    Sie machte eine vage Handbewegung. «Ach, so lala, Mr. Jury. Nicht schlecht», beeilte sie sich hinzuzufügen. «Aber … na ja, nichts Halbes und nichts Ganzes.»
    «Keine exotischen Frauen in Nachtzügen oder so etwas?»
    «Mir weissagt sie einen schmucken Fremdling. Jetzt sagen Sie mir mal», und sie breitete die Arme aus und blickte die Straße hinauf und hinunter, «gibt es hier in der Gegend etwa schmucke Fremdlinge?»
    «Und für mich?» Jury drückte die Zunge in die Wange.
    «Für Sie gibt es niemanden.» Mrs. Wassermann seufzte. «Und dabei hatte ich gedacht, Miss Bredon-Hunt würde … na, Sie wissen schon. Ich mische mich nicht in anderer Leute Angelegenheiten, Mr. Jury.»
    «Hmm. Es scheint nicht besonders gut zu laufen –»
    «Ach, das läuft doch überhaupt nicht. So ein Jammer. Was für ein hübsches Mädchen. Und doch … Sie sollten nicht ewig allein leben. Bei den Sternen weiß man natürlich nie, aber es hat den Anschein, als ob Sie uns noch ein Weilchen erhalten bleiben würden.» Mrs. Wassermann legte den Kopf in den Nacken und meinte: «Die leere Wohnung da oben, so groß und sonnig. Aber die Leute sehen sie sich an und
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