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Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)

Titel: Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
Autoren: Parmy Olson
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ein japanisches Bilderforum mit pfirsichfarbenem Hintergrund, das sich ausschließlich mit Animes befasste und 2channel hieß, abgekürzt 2chan. Poole hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Gegründet hatte es 1999 der Collegestudent Hiroyuki Nishimura (heute, 2012, ist er fünfunddreißig Jahre alt); es enthielt Diskussionsthreads, die sich praktisch mit Lichtgeschwindigkeit fortschrieben. Poole musste nur 30 Sekunden warten und dann F5 drücken, um die Seite neu zu laden und einen Strom neuer Posts zu sehen – bis zu 1.000 Stück. Fast alle Poster blieben anonym. Anders als englischsprachige Webforen forderte 2chan keine Namensregistrierung, und kaum ein User meldete sich an.
    Im selben Sommer war auch den japanischen Medien aufgefallen, dass 2chan ein ziemlich peinliches Fenster geworden war, das der Welt einen Einblick in die japanische Subkultur gewährte. Die Diskussionen über Animes hatten sich längst auf andere Gegenstände ausgeweitet: Jugendliche, die ihre Lehrer umbrachten, ihre Chefs angriffen oder einen örtlichen Kindergarten in die Luft sprengten. Und das Forum war eine der beliebtesten Webseiten des Landes.
    Poole wünschte sich ein solches, in dem er sich auf Englisch mit anderen Interessierten über Animes austauschen konnte, aber 2chan hatte angefangen, englische Posts zu blockieren. Also machte er sich daran, 2chan zu klonen. Er kopierte den frei verfügbaren HTML-Code der Seite, übersetzte den Inhalt ins Englische und baute das Ganze dann aus, alles auf dem Computer zu Hause in seinem Zimmer. Das Ergebnis nannte er 4chan. Als ein Online-Bekannter mit dem Spitznamen moot fragte, was der Unterschied zwischen 4chan und 2chan sein solle, antwortete Poole mutig: »ES IST DOPPELT SO VIEL CHAN, MOTHERFUCKER.«
    Am 29. September 2003 registrierte Poole die Domain 4chan.net und kündigte sie auf Something Awful an, einem Internetforum, in dem er regelmäßig postete. Sein Thread trug den Titel: »4chan.net – das englische 2chan.net!«
    4chan sah fast genauso aus wie 2chan: dunkelroter Text auf pfirsichfarbenem Hintergrund mit farbigen Kästchen für die Diskussionsthreads. Weder 4chan noch 2chan haben ihren Auftritt bis heute groß geändert; ein paar neue Farbschemata sind dazugekommen. Kurz nach der Eröffnung von 4chan verlinkte sich ein englischsprachiger Anime-Hub namens Raspberry Heaven mit dem Forum, gefolgt von Something Awful. Die ersten Besucher schauten herein und waren sofort begeistert. Die einzelnen Unterforen waren oben auf der Seite alphabetisch aufgeführt: /a/ stand für Animes, /p/ für Fotografie und so weiter. Unter /b/ hatte Poole ein »allgemeines« Forum eingerichtet, das binnen zwei Monaten zum wichtigsten Bestandteil der Seite werden sollte. In einer Diskussion mit einigen der ersten User schrieb moot, /b/ sei das »schlagende Herz der Seite«, aber auch »eine Klapsmühle«. Hier konnte jeder schreiben, worüber er wollte.
    Poole hatte 4chan zunächst so konfiguriert, dass jeder Poster sich einen Spitznamen auswählen musste. Das blieb bis Anfang 2004 so, als ein 4chan-User und PHP-Programmierer mit dem Nickname Shii gegen diesen Zwang aufbegehrte. Er veröffentlichte einen Essay über den Wert der Anonymität in Internetforen und wies auf 2chan hin, wo die Anonymität der Eitelkeit Einzelner und der Cliquen- und Elitenbildung entgegenwirke. Eine Seite, die einen zwang, sich mit einem Spitznamen zu registrieren, schrecke außerdem interessante Menschen ab, die viel zu tun hatten, und ziehe stattdessen Menschen an, die zu viel Freizeit hatten und zu bösartigen und sinnlosen Kommentaren neigten. »In einem anonymen Forum«, schrieb er, werde die Logik über die Eitelkeit triumphieren.
    Poole las den geposteten Essay. Er gefiel ihm, und er setzte Shii als Moderator und Administrator der Foren auf 4chan ein. Einen anderen Administrator ließ er auf einigen Teilen der Seite »Forced_Anon« einführen, ein Feature, das keine Nicknames mehr zuließ. Viele User regten sich darüber auf, einige umgingen die erzwungene Anonymität mit sogenannten Tripcodes, die wieder Spitznamen ermöglichten. Andere wiederum, denen die Anonymität gefiel, machten sich über die Spitznamen-User lustig und tauften sie »Tripfags«.
    Der folgende Konflikt war vielleicht schon ein Anklang zukünftiger Entwicklungen. Die Anhänger der Anonymität und die der Tripcodes begannen getrennte Threads, in denen sie dazu aufriefen, mit Posts ihre Sache zu unterstützen, sowie eigene
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