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INRI

INRI

Titel: INRI
Autoren: Michael Moorcock
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hier…«
    »Ich glaube, ich werde deine Mutter bitten müssen, dich von der Schule zu nehmen…«
    »Vielleicht strengst du dich an - aber du mußt dich viel mehr anstrengen. Ich hatte große Hoffnungen in dich gesetzt, als du kamst, Glogauer. Im letzten Jahr hast du dich großartig gemacht, und jetzt…«
    »Auf wie vielen Schulen warst du schon, bevor du zu uns kamst? Guter Gott!«
    »Ich glaube, daß du irgendwie da hineingetrieben wurdest, Glogauer, und deshalb will ich diesmal nicht zu streng mit dir sein…«
    »Schau nicht so niedergeschlagen drein, mein Junge - du schaffst es schon!«
    »Hör mir zu, Glogauer! Paß auf, in Herrgotts Namen…«
    »Du hast den Verstand, Junge, aber du scheinst ihn nicht benutzen zu wollen…«
    »Tut mir leid? Es genügt nicht, daß es dir leid tut. Du mußt hören…«
    »Wir erwarten, daß du dich im nächsten Jahr viel mehr anstrengst.«
    »Und wie heißt du?« fragte Glogauer den hockenden Mann.
    Der richtete sich auf und sah nachdenklich auf Glogauer herab.
    »Du kennst mich nicht?«
    Glogauer schüttelte den Kopf.
    »Du hast noch nicht von Johannes gehört, den sie den Täufer nennen?«
    Glogauer versuchte, seine Überraschung zu verbergen, aber offensichtlich bemerkte Johannes der Täufer, daß sein Name ihm bekannt war. Er nickte mit seinem zotteligen Kopf.
    »Du hast doch von mir gehört, wie ich sehe.«
    Da überkam ihn ein Gefühl der Erleichterung. Dem Neuen Testament nach war der Täufer einige Zeit vor der Kreuzigung Christi getötet worden. Es war jedoch merkwürdig, daß gerade Johannes noch nichts von Jesus von Nazareth gehört hatte. Bedeutete das am Ende, daß Christus gar nicht existiert hatte?
    Der Täufer fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Nun, Magus, ich muß also jetzt entscheiden, wie?«
    Glogauer, der mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, sah abwesend auf. »Was mußt du entscheiden?«
    »Ob du der uns prophezeite Freund bist oder der Falsche, vor dem uns Adonai gewarnt hat.«
    Glogauer wurde nervös. »Ich habe mich nicht als solcher ausgegeben. Ich bin nur ein Fremder, ein Reisender…«
    Der Täufer lachte. »Ja - ein Reisender in einem Zauberwagen. Meine Brüder haben mir erzählt, daß sie ihn kommen sahen. Es gab ein Donnergetöse, einen Blitz - und auf einmal war dein Wagen da und rollte durch die Wüste. Sie haben viele Wunder gesehen, meine Brüder, aber kein so überwältigendes wie das Erscheinen deines Wagens.«
    »Der Wagen ist kein Zauberwerk«, versicherte Glogauer eilig, war sich aber klar, daß der Täufer kaum verstehen würde, was er ihm sagte. »Es ist - eine Art Maschine - die Römer haben solche. Du mußt davon gehört haben. Sie werden von gewöhnlichen Menschen gebaut, keinen Zauberern…«
    Der Täufer nickte langsam. »Ja - wie die Römer. Die Römer möchten mich meinen Feinden, den Kindern Herodes, ausliefern.«
    Obgleich er ziemlich viel über die Politik jener Zeit wußte, fragte Glogauer: »Warum das?«
    »Du mußt doch wissen, warum. Rede ich nicht gegen die Römer, die Judäa versklaven? Rede ich nicht gegen die ungesetzlichen Dinge, die Herodes tut? Prophezeie ich nicht die Zeit, da alle Ungerechten vernichtet werden und Adonais Königreich auf Erden wieder errichtet wird, wie die alten Propheten uns verkündet haben? Ich sage zu den Leuten: »›Bereitet euch auf den Tag vor, da ihr das Schwert aufnehmen werdet, um Adonais Willen zu erfüllen.‹ Die Ungerechten wissen, daß sie an diesem Tage sterben werden, und sie möchten mich vernichten.«
    Obgleich des Täufers Worte fürchterlich waren, sprach er in ganz sachlichem Ton. In seinem Gesicht und in seiner Haltung lag keinerlei Irrsinn oder auch nur Fanatismus. Karl erinnerte sich an einen anglikanischen Vikar, der eine ähnliche Predigt gehalten, deren Bedeutung für ihn längst an Schärfe verloren hatte.
    »Du rufst die Leute auf, das Land von den Römern zu befreien, ist es das?« fragte Karl.
    »Ja - von den Römern und ihrem Herodes.«
    »Und wen möchtest du an ihre Stelle setzen?«
    »Den rechtmäßigen König von Judäa.«
    »Und wer ist das?«
    Johannes zog die Stirn kraus und sah ihn merkwürdig von der Seite an. »Adonai wird es uns sagen. Er wird uns ein Zeichen geben, wenn der rechtmäßige König kommt.«
    »Weißt du, was für ein Zeichen das sein wird?«
    »Ich werde es wissen, wenn es kommt.«
    »Es gibt also Prophezeiungen?«
    »Ja, es gibt Prophezeiungen…«
    Daß dieser Umsturzplan Adonai (einer der Namen Jahwes und bedeutet
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