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INRI

INRI

Titel: INRI
Autoren: Michael Moorcock
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hineinzukriechen.
    Aber die Stimmen sprachen eine fremde Sprache. Es war wahrscheinlich Nacht, denn es schien sehr dunkel zu sein. Sie waren nicht mehr auf dem Marsch. Ihm war heiß. Er hatte Stroh unter sich. Er betastete das Stroh und fühlte sich erleichtert, ohne zu wissen warum. Er schlief ein.
    Schreien. Spannung.
    Seine Mutter schrie oben Mr. George an. Mr. George und seine Frau hatten die beiden Hinterzimmer des Hauses gemietet.
    Er rief zu seiner Mutter hinauf.
    »Mami! Mami!«
    Ihre hysterische Stimme: »Was ist los?«
    »Ich möchte, daß du kommst.«
    Er wollte, daß sie aufhörte.
    »Was ist los, Karl? Jetzt hast du das Kind aufgeweckt!«
    Sie erschien über ihm auf dem Treppenabsatz, zog ihren Morgenmantel fester um sich und lehnte sich dramatisch über das Geländer.
    »Mami, was ist passiert?«
    Sie verharrte einen Augenblick so, als überlegte sie, und klappte dann zusammen und rollte langsam die Treppe herunter. Sie lag jetzt am Fuß der Treppe auf dem dunklen, abgetretenen Teppich. Er schluchzte und zerrte an ihren Schultern, aber sie war zu schwer für ihn. Er war von Panik erfaßt. »Oh, Mami!«
    Mr. George kam mit schweren Schritten die Treppe herunter. Er wirkte resigniert. »Oh, zum Teufel!« sagte er. »Greta!«
    Karl sah ihn wütend an.
    Mr. George sah Karl an und schüttelte den Kopf. »Es fehlt ihr nichts, mein Sohn. Komm, Greta, wach auf!«
    Karl stand zwischen Mr. George und seiner Mutter. Mr. George zuckte die Achseln und schob ihn beiseite, bückte sich dann und stellte Karls Mutter auf die Beine. Ihr langes, schwarzes Haar fiel über ihr schönes, gehetztes Gesicht. Sie öffnete die Augen, und selbst Karl war überrascht, daß sie so schnell aufgewacht war.
    »Wo bin ich?« fragte sie.
    »Komm, komm, Greta! Dir fehlt nichts.«
    Mr. George führte sie wieder die Treppe hinauf.
    »Was ist mit Karl?« fragte sie.
    »Mach dir um den keine Sorgen!«
    Sie verschwanden.
    Das Haus war jetzt still. Karl ging in die Küche. Ein Bügelbrett war aufgestellt, mit einem Bügeleisen darauf. Auf dem Herd kochte etwas. Es roch nicht sehr gut. Es war wahrscheinlich etwas, was Mrs. George kochte.
    Er hörte jemanden die Treppe herunterkommen und rannte durch die Küche in den Garten hinaus.
    Er weinte. Er war sieben.
    2
    Zu der Zeit kam Johannes der Täufer und predigte in der Wüste des jüdischen Landes und sprach: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Und er ist der, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat und gesprochen: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg und machet richtig seine Steige!« Er aber, Johannes, hatte ein Kleid von Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber war Heuschrecken und wilder Honig. Da ging zu ihm hinaus die Stadt Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.
    Matthäus 3, 1-6
    Sie wuschen ihn.
    Er spürte das kalte Wasser über den Körper laufen und schnappte nach Luft. Sie hatten ihm seinen Schutzanzug ausgezogen, und es lagen jetzt dicke Lagen Schaffell um seine Brust, mit Lederbändern festgebunden.
    Er hatte weniger Schmerzen, aber er fühlte sich sehr schwach und heiß. Die geistige Verwirrung der Wochen vor seinem Einstieg in die Zeitmaschine, die Reise selbst und jetzt das Fieber machten es ihm schwer zu verstehen, was mit ihm vorging. Alles war seit so langer Zeit wie ein Traum gewesen. Er konnte immer noch nicht wirklich an die Zeitmaschine glauben. War er vielleicht nur von irgend etwas high? Sein Sinn für die Realität war nie besonders stark gewesen; während des größten Teils seiner Jugend und seines Lebens als Erwachsener hatten es ihm nur gewisse Instinkte ermöglicht, sich sein körperliches Wohlbefinden zu erhalten. Doch das über ihn fließende Wasser, die Berührung des Schaffells um seine Brust, das Stroh unter ihm, das alles war von einer deutlicheren Realität als alles, was er seit seiner Kindheit erfahren hatte.
    Er war in einem Gebäude - oder vielleicht in einer Höhle, es war zu dunkel, das zu erkennen -, und das Stroh war von dem Wasser durchnäßt.
    Zwei Männer in Sandalen und Lendentüchern gossen aus irdenen Krügen Wasser über ihn. Einer trug ein über die Schulter zurückgeworfenes Stück Baumwollzeug. Beide hatten sie dunkle, semitische Gesichtszüge, große dunkle Augen und volle Barte. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos, selbst als sie innehielten und er zu
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