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INRI

INRI

Titel: INRI
Autoren: Michael Moorcock
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der Pharisäer, die anderer Meinung sind als die Mehrheit, versuchten ihn zu warnen und zur Flucht aus der Stadt zu veranlassen, aber er weigerte sich.«
    Pilatus nickte. Sein Blick war gesenkt, während er über diese Information nachdachte. Die Pharisäer haßten den Propheten vielleicht, aber sie würden sehr schnell politisches Kapital aus seiner Verhaftung schlagen.
    »Die Pharisäer möchten ihn hinter Schloß und Riegel sehen«, fuhr Judas fort. »Das Volk läuft zusammen, um den Propheten zu hören, und heute stifteten viele in seinem Namen Unruhe im Tempel.«
    »So, das war er?« Es stimmte, daß etwa ein halbes Dutzend Leute die Geldwechsler im Tempel angegriffen und zu berauben versucht hatten.
    »Frag die Verhafteten, wer sie zu ihrem Verbrechen anstiftete!« sagte Judas. »Es waren die Männer des Nazareners.«
    Pilatus biß sich auf die Unterlippe.
    »Ich könnte die Verhaftung nicht veranlassen«, sagte er. Die Lage in Jerusalem war schon jetzt gefährlich, aber wenn sie diesen ›König‹ verhaften würden, könnte daraus ein großer Aufstand entstehen, mit dem er nicht allein fertig würde. Er wünschte sich Unruhen, wollte aber nicht, daß es so aussah, als hätte er den Anlaß geliefert. Tiberius würde ihn verantwortlich machen, nicht die Juden. Wenn jedoch die Juden selbst die Verhaftung durchführten, würde sich der Zorn des Volkes weniger gegen die Römer richten, so daß die Truppen Herr der Lage bleiben könnten. Es galt, die Pharisäer dafür zu gewinnen. Sie mußten die Verhaftung veranlassen. »Warte hier!« sagte er zu Judas. »Ich will Kaiphas eine Nachricht schicken.«
    Und sie kamen zu einem Hofe mit Namen Gethsemane. Und er sprach zu seinen Jüngern: Setzet euch hier, bis ich hingehe und bete. Und nahm zu sich Petrus und Jakobus und Johannes und fing an zu zittern und zu zagen. Und sprach zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet!
    Glogauer sah jetzt den Mob auf sich zukommen. Zum erstenmal seit Nazareth fühlte er sich physisch schwach und erschöpft.
    Sie würden ihn töten. Er mußte sterben; das akzeptierte er, aber er hatte Angst vor den Schmerzen, die ihm bevorstanden. Er setzte sich an dem Berghang hin und beobachtete die sich nähernden Fackeln.
    »Das Ideal des Märtyrertums hat es nur im Geist einiger Asketen gegeben«, hatte Monica gesagt. »In allen anderen Fällen war es krankhafter Masochismus, ein leichter Weg, sich vor der normalen Verantwortung zu drücken, eine Methode zur Beherrschung unterdrückter Menschen…«
    »Es ist nicht so einfach …«
    »Es ist so einfach, Karl.«
    Er konnte es Monica jetzt zeigen.
    Er bedauerte, daß sie es wahrscheinlich nie erfahren würde. Er hatte die Absicht gehabt, alles aufzuschreiben und in die Zeitmaschine zu legen, in der Hoffnung, daß sie geborgen werden könnte. Es war merkwürdig. Er war kein religiöser Mensch im üblichen Sinne. Er war ein Agnostiker. Es war nicht Überzeugung, was ihn dazu gebracht hatte, die Religion gegen Monicas zynische Verachtung zu verteidigen; es war vielmehr ein Mangel an Überzeugung von der Richtigkeit des Ideals, an das sie glaubte, ihres Glaubens an die Wissenschaft als Löserin aller Probleme. Er konnte ihren Glauben nicht teilen, und es gab sonst nichts anderes für ihn als die Religion, obwohl er an einen Gott wie den der Christenheit nicht glauben konnte. Ein Gott als mystische Kraft aus den Mysterien des Christentums und anderer großer Religionen war ihm nicht persönlich genug. Sein nüchterner Verstand hatte ihm gesagt, daß es Gott in einer persönlichen Form überhaupt nicht gebe. Sein Unterbewußtsein hatte ihm gesagt, daß der Glaube an. die Wissenschaft nicht genüge. Er erinnerte sich an die Selbstverachtung, die er einmal empfunden hatte, und fragte sich, warum er sie empfunden hatte.
    »Wissenschaft ist im Grunde das Gegenteil von Religion«, hatte Monica gesagt. »Ganz gleich, wie viele Jesuiten zusammenkommen, um ihre Ansichten über die Wissenschaft zu rationalisieren, es bleibt die Tatsache bestehen, daß die Religion die grundsätzliche Einstellung der Wissenschaft nicht akzeptieren kann, und es ist unvermeidlich, daß die Wissenschaft die grundlegenden Prinzipien der Religion angreift. Das einzige Gebiet, auf dem es keine Differenzen gibt und kein Krieg nötig ist, ist die eigentliche Annahme eines Gottes. Man kann annehmen, daß es einen Gott gibt, und man kann das Gegenteil annehmen. Aber sobald einer anfängt, seine Annahme zu
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