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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere
Autoren: Sarah Fine
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drückte.
    »Diane, wenn du jetzt anrufst, rücken die an, sehen, dass mir nichts fehlt, und ärgern sich, weil du falschen Alarm geschlagen hast.«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und ich wäre fast einen Schritt zurückgewichen. Diane arbeitete drunten in der Haftanstalt und sie konnte einen mit einem Blick mehr einschüchtern als der schlimmste Gauner, den ich je gesehen hatte. »Wir gehen morgen zum Arzt und damit hat sich’s«, blaffte sie.
    »Schön«, murmelte ich, während ich kehrte. »Meinetwegen.«
    Kaum war sie im Haus verschwunden, hockte ich mich wieder auf den Boden. Ich starrte den kleinen Aschehaufen auf der Kehrschaufel an und die grauen Schlieren auf der Veranda. Es gab zwei Möglichkeiten. Die erste: Ich war im Begriff, verrückt zu werden. Der Tod meiner besten Freundin hatte mich um den Verstand gebracht und wenn das so weiterging, würde ich demnächst in der Psychiatrie landen. Die zweite: Ich stand tatsächlich in Verbindung mit Nadia und wusste, wo sie sich befand. Aber dort war es viel schlimmer als an dem Ort, der mich seit zwei Jahren bis in meine Träume verfolgte. Es war gefährlich. Menschen bluteten. Sie starben sogar, obwohl sie schon tot waren. Es war nicht auszuschließen, dass einer von diesen schwerterschwingenden Irren sie gerade jetzt, in diesem Augenblick, angriff.
    So schnell ich konnte, kehrte ich den Rest zusammen und winkte fröhlich, als Diane mir einen besorgten Blick zuwarf. Ich ging wieder in mein Zimmer und sobald ich mich umdrehte, war meinLächeln verschwunden. Ich legte mich aufs Bett, hielt meine Hände vors Gesicht und versuchte mich zu erinnern, wie es sich genau angefühlt hatte, in Nadias Kopf zu sein. Nadia zu
sein
. Nichts. Ich schloss die Augen und wollte einschlafen. Vielleicht konnte ich ja von ihr träumen. Vielleicht konnte ich sehen, ob sie es in eine von diesen Wohnungen geschafft hatte. Vielleicht würde sie mich diesmal hören. Vielleicht konnte ich mit ihr reden. Und wieder bei ihr sein.
    Na klar, wenn ich mir ausnahmsweise mal einen Albtraum wünschte, konnte ich nicht einschlafen. Mein Tattoo juckte und der Schmerz strahlte über den ganzen Arm aus, aber es zog mich nicht mehr in Nadias Kopf hinein. Ich starrte es an, die dunkle Farbe auf meiner roten, wunden Haut. Es hätte ein Abschied sein sollen – aber womöglich war sie damit noch tiefer in mein Herz gedrungen? Vorher hatte ich gewollt, dass die Träume aufhören. Jetzt wünschte ich mir mehr davon. Diese Vision war so real gewesen. Nicht wie ein Schatten über der wirklichen Welt; es war die wirkliche Welt gewesen. Als würde das, was ich gesehen hatte, tatsächlich geschehen. Und wenn das zutraf, dann steckte Nadia in der Klemme. Stundenlang lag ich da und versuchte, eine Vision heraufzubeschwören. Mein Herz klopfte im Takt mit dem Blinken meines Weckers, mit jeder Sekunde wuchs meine Anspannung. Was, wenn sie sich nicht in eine von diesen Wohnungen retten konnte?
    Was, wenn du wirklich in die Klapsmühle gehörst?
    Ich warf die Decke ab, wollte nicht über diese Möglichkeit nachdenken und war ohnehin zu sehr auf Nadia fixiert, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Wenn es mir schon nicht gelang, eine Vision von Nadia heraufzubeschwören, vielleicht konnte ich ja losziehen und eine suchen.

5
    Es war gegen fünf Uhr morgens, als ich endlich kapitulierte, in die Flipflops schlüpfte, mir meine Schlüssel und eine Jacke schnappte und aus dem Haus schlich. Auf dem Highway fuhr ich Richtung Newport. Ich verbrauchte meine letzten zwei Dollar für den Brückenzoll und überquerte die Brücke, die geradewegs zu der südlichen Spitze von Aquidneck Island führte. Dort begann der Cliff Walk, der sich fünf Kilometer lang, gesäumt von prachtvollen Herrenhäusern, am Ozean entlangschlängelt.
    Nadia sagte einmal, dass auf dem steinigen Pfad – rechts der Luxus, links die sich brechenden Wellen – ihre beiden Hälften zusammenfanden. Sie hatte mich oft mit hierher genommen. Hier hatte ich das Foto von der Küste gemacht, das sie so gern gemocht hatte. Vielleicht war das der Ort, an dem ich sie wiederfinden konnte.
    Ich parkte am Straßenrand direkt am Anfang des Cliff Walk. Der tosende Wind wirbelte meine Haare auf. Die schneidende Kälte drang durch meine dünne Jacke, als ich auf den felsigen Weg trat, und ein heller, scharfer Schmerz durchzuckte meinen tätowierten Arm.
    Im selben Augenblick erschien ein Korridor vor mir. Ein säuerlicher Geschmack erfüllte meinen Mund. Ich
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