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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen
Autoren: Ursula Sternberg
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»Damit du mich besser sehen kannst.«
    * * *
    »Vielleicht verrätst du mir freundlicherweise, wo er steckt?« Beas Tonfall war sarkastisch.
    »Hä? Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte ich vorsichtig.
    »Nun, du willst schließlich deine Anzeige zurückziehen. Und wenn ich ehrlich bin, überrascht mich das nicht mal besonders. Also, wo ist Kurt?« Bea nahm die runde Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch.
    »Du weißt doch, wo er ist«, sagte ich scheinheilig. »Friedhof? Sarg? Viel Erde drauf? Und ziemlich wenig von ihm übrig?«
    »Eben.« Bea kippte die Lehne ihres großen Schreibtischstuhls in Schräglage, stemmte die Füße gegen die Schreibtischkante und verschränkte ihre Arme im Nacken. Das Licht der untergehenden Sonne fiel durch das Fenster ins Zimmer und tauchte ihre naturgelockten Haare in rötliches Gold. »Ich erzähle dir jetzt mal eine Geschichte.« Sie schloss die Augen. »Und wie viele gute Geschichten beginnt sie mit ›Es war einmal …‹.«
    »Oh, ein Märchen. Na, da bin ich aber gespannt.«
    »Nicht ganz.« Bea lächelte. »Also: Es war einmal ein kleiner Bankangestellter. Der arbeitete in einer großen, großen Bank in Ruhrstadt City.« Sie öffnete die Augen wieder. Das Sonnenfeuer umhüllte ihr Haupt nun in flammendem Rot. Es sah so aus, als würden ihre Haare brennen. »Der kleine Bankangestellte konnte sich mühen, so viel er wollte. Ein großer Bankangestellter durfte er nicht werden. Und als ihm schließlich die Frau, zu der er in stiller Liebe entflammt war, vor die Nase gesetzt wurde, da beschloss er, sich zu rächen.«
    »An wem denn?«, fragte ich vorsichtig, aber Bea wischte die Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung fort.
    »Er begann, mehr in den Geschäften der Bank herumzustöbern, als ihm Kraft seines Amtes zustand. Und da er auf seinen großen Chef sauer war, nahm er dessen Aktivitäten besonders gründlich unter die Lupe. Er entdeckte zunächst, dass sein großer Chef sehr willkürlich mit der Vergabe von Krediten umging. Man könnte da durchaus auch von Begünstigung oder Vetternwirtschaft sprechen. Der große Chef, der hatte jedoch drei Freunde. Schulfreunde. So was bindet. Einer von ihnen war mittlerweile ein hohes Tier bei der Stadtverwaltung. Er hatte ehrgeizige Pläne, was das Vorzeigeprojekt der Stadt Duisburg betraf. Sehr ehrgeizige Pläne. Die sollten ihn hoch hinauf in den Landtag katapultieren.«
    Der Innenhafen, ergänzte ich stumm. »Woher weißt du das?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht hundertprozentig. Aber es ergibt Sinn. Der ambitionierte Politiker war zudem Architekt. Bei einem der gewaltigen Bauprojekte, die das Vorzeigeprojekt der Stadt betrafen, wollte er das Rennen machen, wenigstens bei diesem einen wollte er sich gegen die großen internationalen Architekten durchsetzen. Es ging um eine der letzten brachliegenden Flächen dort. Und der Kuchen war noch nicht verteilt.«
    Auch Beas helle Bluse hatte mittlerweile Feuer gefangen und loderte mit den Haaren um die Wette. Eine Hexe, dachte ich. Nicht auf einem Scheiterhaufen, nein. Eine, die dem Sonnenuntergang entgegenflog. Eine himmlische Hexe also. Fehlte nur noch der Besen zwischen ihren Beinen. Unwillkürlich musste ich kichern.
    »Freut mich, dass dir meine kleine Geschichte Spaß macht!« Bea zwinkerte mir freundlich zu.
    Die kleine Hexe. Kleine Hexe mit Eule, nicht mit Rabe. Wegen der runden Brillengläser, die immer noch vor ihr auf dem Schreibtisch lagen. Himmlische kleine Hexe mit Eule auf der Schulter. Nein, auf dem Kopf. Sie wusste zu viel. Entschieden zu viel. Wie sonst, wenn sie keine Hexe war? Aber die kleine Hexe war freundlich und wollte niemandem Schaden zufügen …
    »Der große Chef der Bank gewährte dem ehrgeizigen Stadtherrn einen saftigen Kredit«, fuhr Bea fort. »Einen sehr saftigen Kredit zu sehr günstigen Konditionen. Nicht ihm persönlich, natürlich nicht. Das wäre ja zu leicht durchschaubar. Sondern einer Firma, an der der Stadtherr beteiligt war. Er selbst tauchte als Geschäftsführer nicht auf. Er war nur stiller Teilhaber.«
    Gespannt neigte ich mich nach vorne. Sie wusste wirklich verdammt viel.
    »Der Stadtherr und der Bankherr hatten mehrere Gesellschaften gegründet, die sie zur Verfolgung ihrer Zwecke benötigten. Architekturbüros, Bauunternehmen und Investment-Trusts. Alles Gesellschaften mit beschränkter Haftung, und alle im Ausland. Lettland, Niederlande, Russland …«
    »Russland?«, fragte ich überrascht. Gab es etwa noch mehr
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